Harakiri in Hakkari: Mit Ski im Orient Teil 2 (März 2024)

Im Frühjahr mit den Ski im Orient, da erwartete ich mal wieder Sonne und Firn wie im letzten Jahr. Aber irgendwo muss ja auch der Schnee für den Firn herkommen und davon hatten wir dieses Mal ganz im Südosten der Türkei mehr als genug und das Wetter war größtenteils eher wie man es in nordatlantischen Gefilden denn im Orient erwarten würde. Aber gleich vorweg: trotz des etwas reißerischen Titels und einiger doch grenzwertiger Situationen im Gelände ist keinem unserer Gruppe was passiert, aber das Wortspiel musste einfach sein.

 

 

Mit Yüksel (siehe auch Ararat 2021) als Organisator und sieben weiteren Gästen starteten wir Mitte März wieder in Van unsere Orientskitour 2024, bevor es ganz in den Südosten der Türkei ging. Im Gegensatz zum Jahr zuvor lag doch deutlich mehr Schnee in den Bergen um Van. Als Warm-Up machten wir die etwa 1000hm Skitour auf die Ostschulter des Artos Dagi. Die Bedingungen waren mit herrlichem Wetter und ordentlichem Firn im Aufstieg perfekt. Die Aussicht über das weite und eingeschneite ostanatolische Bergland war mal wieder eine Pracht. Vom Start weg lief auch eine ganz liebe streunende Hundedame mit uns mit, die wohl einfach etwas Gesellschaft suchte und nie bettelte oder aufdringlich wurde, aber als wir wieder unten waren von alleine wieder abzog. Die ideale Abfahrt mit Seeblick über den völlig unverspurten 1000 hm Hang war dann einfach ein Traum: Die obere Hälfte Pulver und die untere Hälfte dann Buttferfirn, was will man mehr! Letztendlich blieb es leider aber auch der einzige Tag der Tour mit wirklich gutem Wetter.

 

Danach fuhren wir noch die drei Stunden nach Hakkari in der Nähe des Iraks. Hakkari liegt auf 1800m Höhe und ist von bis zu 3600 m hohen Bergen eingefasst. Auch wenn der Ort an sich nicht sonderlich schön ist, macht es die Kulisse doch zu einer beeindruckenden Bergstadt.

 

 

Anderntags war das Wetter dann schon bescheiden: tiefhängende Wolken und etwas Schneefall. Also hoch zum kleinen Skigebiet von Hakkari, bei welchem die Talstation schon auf 2500 m liegt, um von dort paar Sachen im sicheren Gelände zu machen. Oben war viel Schnee und als wir ankamen schon White-Out. Wir stocherten dann gut 400 hm rechts von den Liften durch das Weiß auf einen unbenannten, kleinen Gipfel. Trotz mieser Sicht war immerhin der Schnee toll abzufahren. Da es gegen Nachmittag besser werden sollte, gönnten wir uns paar Runden mit dem Schlepplift und der Piste. Aufgrund des Wahlkampfes (Kommunalwahlen) war der Lift sogar umsonst! Bizarr, aber wir haben das Angebot gerne angenommen. Als es dann langsam aufklarte machten wir uns dann an die lange Abfahrt im Gelände nach Hakkari. Von der Bergstation des Schleppers mussten wir erst mal noch mit den Fellen gut zwei Kilometer zu einem kleinen Gipfel laufen wo es dann mal kurz sogar etwas alpin im Aufstieg wurde. Die dann folgende ca. acht Kilometer lange Abfahrt war dann die bislang für mich in dem Winter: hindernisloses, ideales Skigelände, völlig entspannt zu fahrender Butterfirn und die tolle Aussicht auf den Bergwelt und Hakkari unten im Kessel. Allerfeinst!

 

 

Die folgende Nacht schneite es dann durch und morgens waren dann durchaus räudige Bedingungen mit Schneefall und wenig Sicht. Als relativ risikoarme Tour aufgrund des eigentlich flachen Geländes, wenn man denn die Linie trifft, ging es durch ein langes Tal bis in einen Pass und Abfahrt auf der anderen Seite runter, wo der Minibus auf uns warten sollte. Als zusätzlicher lokaler Guide war noch Hadschi dabei. Es schneite den kompletten Aufstieg und wir durften uns mehr oder minder im White-Out zum Pass hocharbeiten, was entsprechend dauerte und wir schon völlig durchnässt dort ankamen. Mittlerweile hatte es gut 20 cm pappigen Neuschnees auf der festen Altschneedecke, was aber im flachen Aufstieg erstmal nicht kritisch erschien. Am Pass angekommen wurde die Sicht etwas besser, blieb aber immer noch mies. Dann machten wir uns an die Abfahrt, Yüskel und Hadschi voraus für die Wegfindung, wir wollten ja nicht in irgendeinem Bachbett oder zu steilen Hang landen. Tja, nach etwa 50 hm fuhr Yüksel in ein etwas steileren Hang und ihm ging das erste Schneebrett unter den Ski ab. Zum Glück war er die Anrisskante, so dass er nicht mitabrutschte. Da merkten wir auch erst, dass der Neuschnee so gut wie keine Bindung zur harten  Altschneedecke hatte. Gar nicht gut, aber in der Ecke der Welt gibt es leider auch keinen Lawinenlagebericht, der einen vor so was warnen könnte. Wir sind da in den Alpen schon verwöhnt. Deshalb kam dann prompt die Ansage von Yüksel: „Alle halten jetzt 30 m Abstand voneinander und Hadschi und ich fahren voran!" Ich war der Erste hinter den Beiden und langsam arbeiteten wir uns das Tal runter. An einer etwas steileren Querung ging Hadschi direkt vor mir das nächste kleine Schneebrett ab, die Schneedeckenstabilität war wirklich mies. Danach ließ sich Hadschi aber erst mal hinter mich zurückfallen, da er doch etwas skifahrerische Defizite hatte und öfters im Schnee lag. Dann kamen wir an eine Stelle, wo man an einem steilen Bacheinschnitt entweder rechts einen steilen Hang queren konnte um zum Bach zu kommen, oder aber über einen flacheren, aber schmalen Rücken. Yüksel vor mir entschied sich dafür, den steilen Hang zu queren. Keine gute Idee. Er fuhr rein, ich hielt zum Glück immer noch ordentlich Abstand, und zack geht unter ihm ein ordentliches Schneebrett ab und als Lawine bis in den Bach. Er war glücklicherweise wieder die Anrisskante und wurde so nicht mitgerissen. Ich konnte ob Abstand noch anhalten und fuhr nicht in den Hang und warnte lautstark den Rest der Gruppe auf keinen Fall da reinzufahren, da dort noch genug abrutschbereites Material drin war. Um aus dem Hang zum Bach zu kommen, fuhr Yüksel ein weiters Schneebrett los und hatte nochmal Dusel und wurde nicht mitgerissen. Ich arbeitete mich dann als Erster den schmalen Rücken zum Bach runter. Der war zwar eng zu fahren, aber der Schnee solider und da rutschte nichts ab. Der Rest der Gruppe folgte mir dann dort runter. Als ich dann bei Yüksel ankam war der schon etwas mitgenommen und meinte nur "Bei solchen Scheissbedingungen mache ich keine Tour mehr, ich will auch lebend heimkommen!". Am Bach entlang ging es weiter, was aber eine Sackgasse war wegen eines Abbruchs und wir deshalb noch einen Hang hochkreuchen mussten um aus dem Bachbett zu kommen. Tja, da von dort oben sahen wir dann auch schon die Straße, wo der Bus wartete, leider war aber der Hang den wir dorthin Abfahren mussten doch steil. Die Begeisterung aller hielt sich in Grenzen, es war aber leider der einzige Weg runter. Peter fuhr dieses Mal voraus, weil Yüskel und Hadschi erst mal vom Abbruch zurück mussten, und zack, das nächste Schneebrett abgetreten. Und nochmal wieder Dusel: auch er war die Anrisskante und fuhr noch raus bevor, er vom mitgerissen wurden. Immerhin hatte das Schneebrett den Neuschnee im Hang abgeräumt, so dass wir Nachfolgenden auf dem sicheren Altschnee darunter abfahren konnten und dann alle heil den Bus erreichten. Fünf (!) Schneebretter in einer Abfahrt losgetreten und trotzdem keinem was passiert. Puuuuuuuh. Einer unserer Gruppe meinte dazu nur im Bus: "Abenteuer gebucht, Abenteuer bekommen." Im Nachhinein betrachtet wäre es besser gewesen, an dem Tag auf eine Skitour zu verzichten, Harakiri in Hakkari muss nicht sein. 

 

 

Es schneite die Nacht immer noch durch und es war auch den ganzen nächsten Tag war Dauerschneefall gemeldet. Das einzig Machbare schien uns, ins Skigebiet hochzufahren und halt wieder im relativ sicheren Pistengelände rumzulatschen. Also um 9 Uhr bei Schneefall los, die Straßen in der Stadt dick voll mit Schneematsch. Weit kamen wir allerdings nicht. Kaum waren wir am Stadtrand, kam uns die Polizei im geländegängigen Fahrzeug entgegen. Weiterfahren war nicht möglich, da die Straße hoch zum Skigebiet noch nicht geräumt werden konnte und das wohl auch erst anderntags gemacht werden kann. Und bei den mittlerweile gut 50 cm Neuschnee oben, wäre man auch mit Schneeketten nicht weit gekommen ohne Räumung.

Dann also Rasttag, ein zweites Frühstück im Café und den Rest des Tages im Hotel verbummeln, weil es in Hakkari dann doch nicht soooo viel für Touristen zu tun gibt bei Schlechtwetter. Aber allemal besser als der Scheiss den Tag zuvor. An dem Tag gingen rund um Hakkari auch spontan große Lawinen ins Tal ab, wie man auf lokalen Social-Media-Kanälen verfolgen konnte. 

 

 

Am anderen Morgen fuhren wir dann nach Yüksekova in der Nähe der iranischen Grenze. Auf der Fahrt konnten wir dann noch selbst die teils gewaltigen Kegel der Lawinen betrachten, die gestern Rund um Hakkari ins Tal abgingen. Brrrrrr. Yüksekova selbst liegt auf 1950 m Höhe, aber die Berge ringsherum sind doch deutlich flacher als um Hakkari und deshalb eigentlich weniger lawinenexponiert. Auch kam hier noch nicht so viel Neuschnee wie in Hakkari und bis weiter hoch Regen, was für doch stabileren Schnee sorgte. Wir starteten dann eine Tour in den Cilo-Bergen vom Dorf Gürdere aus. Zu Beginn noch gute Sicht und windstill, was sich aber prompt änderte, als wir auf den Rücken kamen, über den der Aufstieg gehen sollte. Böen bis 70 km/h, das Gesicht wurde vom waagerecht kommenden Graupel quasi sandgestrahlt und mal wieder White-Out. Also eigentlich hatte ich von einer Skitour im März im Orient keine schottischen Winterbedingungen erwartet. Nach 250 hm hatte Yüksel die Schnauze voll und wir brachen ab, es gab auch keine Gegenwehr von uns Gästen. Zum Glück waren wir im Fünf Sterne Hilton einquartiert (warum auch immer das doch eher trostlosen Yüksekova so ein Hotel hat), welches als große Annehmlichkeiten finnische Sauna, Dampfbad, Hamam und Hallenbad aufweisen konnte. Ich gönnte mir deshalb an dem Tag noch drei ausgiebige Runden im Wellnessbereich, es war ja schließlich Urlaub und ich bin auch schon über 40, da darf man das.

 

 

Am nächsten Tag ging es leider ähnlich weiter. Niederschlag, strammen Wind, aber immerhin mal Sicht bis auf etwa 2400 m hoch. Wirklich erstaunlich, wie beharrlich sich hier das schlechte Wetter hält, sowas hätte ich eher in Island oder Norwegen erwartet. Sehr schade, ist das Gelände der Berge um Yüksekova doch prädestiniert für Skitouren. Aber da wir nicht den ganzen Tag im Fünf Sterne Bunker rumhängen wollten, gingen wir eine Skitour vom Dorf Adakli aus an. Dort konnten wir über einen sehr schönen Rücken etwa 500 hm aufsteigen und so die ehe lawinengefährdeden Flanken meiden. Leider wieder strammen Gegenwind bis 80 km/h und Graupel, also wieder Sandstrahlung bei immerhin brauchbarer Sicht. Das war der Schnee in der Abfahrt leider nicht, sondern tiefer, schwerer Sulz. Weil wir aber Bewegung brauchten, fellten wir trotzdem nochmal auf und machten die gleiche Tour ein zweites Mal, um uns Sauna und das Abendessen zu verdienen, was beides dann sehr gut tat!

 

 

Leider wurde das Wetter wieder schlechter, null Sicht in den Bergen und den ganzen Tag Niederschlag (Mix aus Schnee und Regen), also nächster Wellnessrasttag mit einigen Sauna-Pool-Runden aber auch noch Auspowern im hoteleigenen Fitnessstudio, damit ich wenigstens irgendwie zu Bewegung kam. Bei einem Skitourenurlaub in den Alpen wäre ich einfach an so einem Tag ins nächste Pistenskigebiet gegangen, das wäre hier aber nur das Minigebiet in Hakkari mit entsprechenden Anfahrtsproblemen bei solch Wetter, siehe oben.

 

 

Entgegen der Wetterprognose kam tags darauf leider wieder die Sonne nicht raus. Wir machten uns an eine Skitour mit Startpunkt beim Dorf Büyükçiftlik aus. Von dort aus ging es in ein Tal mit recht steilen Flanken. Und das Tal war mit wirklich sehr mächtigen Lawinenkegeln von Abgängen aus den steilen Nordflanken gefüllt, über die wir uns arbeiten mussten. Das wirkte fast schon wie der Eisbruch eines Gletschers. Und in den Hängen lag noch gut abrutschbereiter Schnee. Das Tal war wirklich nicht die beste Wahl nach dem vielen Neuschnee der vergangenen Tage. Nicht schon wieder so eine latente Harakiriaktion. Irgendwann ging es in die südseitigen Hänge, aber auch dort hatte es dann ab etwa 2300 m viele frische Lawinenkegel von Abgängen vom Tag zuvor über die wir mussten. Irgendwie war das gar nicht so prickelnd. Zudem schneite es immer stärker und rund 2500 m standen wir mal wieder im White-out. Patagonientrainig statt Firnabfahrten. Ob der steiler werdenden Hänge und null Sicht wurde dann der sehr vernünftige Entschluss gefasst, es hier sein zu lassen. Die Aufstiegsspur war fast schon zugeschneit und im Schneetreiben ging es wieder retour mit entsprechend ruppigem Abfahrtsvergnügen durch die Lawinenkegel. Zurück im Hotel verzog ich mich erst mal direkt eine ganze Weile ins Dampfbad. 

 

 

Das war es dann auch mit den Skitouren im (bei dem Wetter was wir hatten) Wilden Kurdistan. Mit den Bedingungen hatten wir einfach Pech aber letztendlich konnten wir an 6 Tagen Skitouren machen und kamen doch auf 4130 hm im Aufstieg. Auch wenn es hinten raus zäh wurde, die ersten beiden Tourentage waren wirklich super und entschädigen für den teils abenteuerlich-alpinen Rest des Urlaubs. Natürlich war dann am Abreisetag allerbestes Wetter, was uns tourenmäßig dann gar nichts mehr bracht aber wir dafür noch mal in Gänze die ganze wunderbaren Skiberge dort sahen, von denen wir aber so wenig hatten…

 

 

Anmerkung: Dass es auch sehr schnell tragisch ausgehen kann ist Ismet, die Führerin mit der ich 2023 auf der Tour bei Van war, leider passiert. Sie verunglückte tödlich in der Woche vor unserer Tour nicht weit weg im östlichen Taurus. Sie hatte eine Gruppe mit fünf Gästen und fuhr als Erste in einen mit Triebschnee geladenen Hang ein, der dann in Gänze kam. Die Gäste hatten wohl keine Chance, sie noch rechtzeitig zu finden und auszugraben. Das gelang erst dem Militär einen Tag später. Sie war zwei Meter tief verschüttet und wurde nur 49 Jahre alt. Ruhe in Frieden Ismet.

 

Ismet (März 2023)

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© Thomas Schaub