Spitzbergen, der hocharktische Außenposten Europas war unser Ziel im September 2023 für eine etwa 1100 km lange Schiffsumrundung. Eine fantastische Landschaft und Tierwelt (Eisbären, Walrosse, Blauwale, Eisfüchse, Spitzbergenrentiere u.v.m) wurde uns hier beim einbrechenden Winter geboten und es war sicher eine der eindrucksvollsten Reisen, die wir bislang unternommen haben. Diese gebe ich hier in Form eines Logbuchs wider.
10.09.2023, 78° 10' 3'' / 15° 34' 58'
14:00 Uhr. Einschiffen in Longyearbyen auf die Antigua, unser Spitzbergen-Törn beginnt! Die Antigua ist ein Dreimaster unter holländischer Flagge mit holländischer Crew (8 Personen) und drei deutschen Reiseleitern für die Landgänge. Insgesamt sind wir 32 Gäste an Bord, das Ganze ist also überschaubar und die Atmosphäre eher familiär. Das Schiff hat keinen besonderen Komfortschnickschnack, dafür ist es umso mehr kuschelig-gemütlich, also genau richtig für uns. Nach Bezug der Kabinen, allgemeiner Vorstellungsrunde und Einweisung legen wir dann um 17 Uhr ab. Da wir Rückenwind haben werden auch gleich die Segel gesetzt, wobei wir Gäste (die meisten segelunerfahren) die Manpower stellen dürfen und die Crew die Kommandos gibt. Hört sich nach Chaos mit Ansage an, klappt aber auf Anhieb erstaunlich gut. Die nächsten Stunden fahren wir unter vollen Segeln mit etwa 6 Knoten raus in den Isfjorden und dann nach Norden in den Dicksonfjord hinein, wo wir vor Kap Wijk über Nacht ankern. In den Tälern und an den Gipfeln rechts und links hängen die Wolken tief und laden sich ab, Gletscher deren Zungen bis ins Meer reichen, also schon ein recht wildes Ambiente.
11.09.2023, 78° 36' 42'' N / 15° 18' 40'' E
4:45 Uhr. Als notorischer Frühaufsteher will ich mir den Sonnenaufgang ansehen, der kurz nach fünf sein sollte. Auf dem Schiff rührt sich ansonsten nichts, draußen ist es absolut windstill, das Meer spiegelglatt und das Schiff mit einer dünnen Schneeschicht gezuckert, die Sicht gut. Herrlich! Leider kommt die Sonne dann doch nicht sonderlich früh in den Fjord hinein, aber immerhin kann ich mit dem Fernglas einige Spitzbergenrentiere beobachten, die in strandnähe ihr Frühstück zu sich nehmen. Nach einer Dreiviertelstunde begebe ich mich dann doch noch mal ins Bett und mache bis zum Frühstück die Augen zu.
09:30 Uhr. Wir machen uns fertig für den ersten Landgang bei Kap Wijk. Das Wetter ist herrlich, also ab in die Zodiaks. An Land teilen wir uns in zwei Gruppen auf, wobei unsere Gruppe etwas den Hang hinauflatscht, während die anderen am Strand entlanglaufen. Das Licht ist mit der tiefhängenden Septembersonne wunderbar weich, die Berg- und Wasserlandschaft um den Fjord überwältigend und die Tundra durch die wir spazieren leicht mit Neuschnee gezuckert. Es sind einige Spitzbergenrentiere in der Nähe die, obwohl wild, relativ wenig Scheu vor uns haben. Deren aktuell neugebildete Geweihe sehen schauerlich beeindruckend aus mit den Hautfetzen dran und der Blutfärbung. Zudem sind die Rentiere kurz vor dem Winter voll im Futter und dementsprechende Brocken. Sogar ein paar der dort seltenen Blaufüchse konnten wir erspähen. Wir verweilen etwas mehr als zwei Stunden und latschen dabei gut 4 km in der Tundra rum. Als wir dann am Strand auf die Zodiacs warten, die uns zum Schiff zurückbringen sollen kommen von rechts im Meer in strandnähe plötzlich viele alabasterfarbene Wellen an. Aber wir merken dann, dass das keine Wellen sind, sondern eine Schule Belugawale, die sich ganz nah am Strand im Kies unter Wasser ihre Haut "peelen". So stehen wir mit offenem Mund direkt an der Wasserkante und nur etwa 5-6 Meter von uns entfernt ziehen gut 50(!) dieser wunderschönen Tiere, immer wieder Luft abblasend, direkt vor uns vorbei. Gefühlt hätten wir die mit den Händen greifen können. Absolut beeindruckend, völlig unerwartet und ich hätte nie gedacht, dass ich in freier Wildbahn so vielen Walen so nah kommen kann.
Mit einem zufriedenen Grinsen auf dem Gesicht ging es zurück an Bord und dann weiter in den Nordfjorden.
11.09.2023, 78° 33' 8'' N/ 14° 19' 23'' E
16:00 Uhr. Wir ankern in der Nähe der etwa 3 km breiten Abbruchfront des Sveabreen, der hier ins Meer kalbt. Es schwimmen einige kleiner Eisbrocken im Meer und wir setzten mit den Zodiaks über. Auf frisch freigelegt Geschiebe wandern wir noch ein Stück Richtung Gletscherfront und beobachten eine ganze Weile aus sicherer Entfernung, wie immer wieder Eis ins Meer stürzt mit entsprechender Geräuschkulisse. Ein durchaus sehenswertes Schauspiel in wieder wilder Kulisse. Nach etwa einer Stunde geht es zurück aufs Schiff und wir setzen unter Motor Kurs aud dem Isfjord raus und dann Richtung Süden. Der Plan ist jetzt um das Südkap herum Spitzbergen zu umrunden. Es wäre genial, falls das klappt, weil wir dann die wirklich wilde Ostküste und auch Nordaustlandet zu sehen bekommen.
12.09.2023, 77° 12' 37'' N / 14° 4' 35'' E
07:10 Uhr. Nachts ging es aus dem relativ geschützten Isfjord raus aufs offene Meer, was durch die Düngung dann doch einen etwas unruhigen Schlaf bescherte. Um sieben gehe ich dann hoch auf Deck, natürlich nicht ohne zuvor einen Kaffee zu greifen, und genieße in der Morgensonne vom Bug aus das wilde wolkenverhangene Panorama welches mir die Berg- und Eiswelt um die gewaltigen Torellbreen beschert. Dazu noch das stahlblaue Meer, fantastisch. Allerdings nimmt die Düngung zu mit entsprechendem Rollen des Schiffs, was mir zwar nichts ausmacht, einigen anderen Gästen (leider inklusive Susanne) allerdings schon. Das Frühstück wird dann eher eine kleine Akrobatikübung, aber immerhin habe ich Hunger und der Krabbensalat zum Morgen schmeckt vorzüglich! Susanne zog es aber vor im Zimmer zu bleiben…
12.09.2023, 77° 4' 10'' N / 14° 56' 9'' E
10:00 Uhr. Wir ankern vor den Nördlichen Dauneninsel und machen uns zum Landgang fertig. Diese Inseln, vor den Gletscherfronten der Torellbreen liegenden, sind kleine, flache Felsinseln, welche im Sommer von Unmengen Eiderdauneenenten, Skuas und Küstenseeschwalben zur Brut besiedelt werden. Durch die ordentliche Vogeldüngung sind diese Inseln mit einem dicken grünen Moos- und Flechtenteppich bedeckt, was auch einen sehr schönen Farbakzent zum eisigen Hintergrund setzt. Wir umwandern dann in gut zwei Stunden die dann doch größer als zuerst angenommene Insel, immer vor prachtvollen Bergkulisse. Obwohl die Vögel aktuell nicht brüten gibt es doch einiges zu sehen: Uraltes in das Moos hineinverwitterndes Treibholz, diverse Knochen, auch von Walen, Vogelskelette, Brutkuhlen der Skuas, diverse Anschwemmungen von Meeresgetier, Eisbärenlosung, sowie Küstenseeschwalben die die Skuas attackieren. Auch ein Seehund lässt sich direkt vor dem Ufer blicken. Ich will allerdings nicht verschweigen, dass sich etliches an Plastikmüll, viel von der Fischerei aber auch Verpackungen, am Ufer findet, was wenig schön ist. Willkommen im Anthropozän! Leider.
12.09.2023, 76° 55' 51'' N / 16° 14' 39'' E
17:00 Uhr. Nach den Dauneninseln ging es gut 3h weiter in den Hornsund, der aufgrund der schroffen Bergwelt an seinen Flanken ein besonderes Juwel ist. Auch hier ergießen sich etliche Gletscher in den Fjord und die Berge sind deutlich steiler und felsiger als z.B. am Isfjorden. Die Szenerie wirkt hochalpin inklusive steiler, zerrissenen Gletscher und sehr abweisender Gipfel. Zudem treiben munter Eisbrocken von den kalbenden Gletschern im Wasser herum, ganz großes Kino. Wir fahren in den Seitenarm, in den auch der Samarinbreen kalbt und ankern dort. Direkt neben uns erhebt sich 1429 m hoch aus dem Wasser der hängegletscherbestückte und abweisende Hornsundtind, der höchste Gipfel im Südteil Spitzbergens. Ein echter Blickfang. Wir ankern unter dessen Ostflanke mit einigen 100 m Abstand zur Eisabbruchkante und setzten mit den Zodiacs an Land über. Nach kurzer Wanderung auf Moränenhügel als Aussichtsplattform können wir ein großartiges Panorama genießen. Es ist windstill und das Wasser spiegelglatt, so dass die Reflektionen der Berge im Wasser es noch toppen. Wir alle genießen die wunderbare Abendstimmung dort und legen eine 15 minütige "Stillepause" ein um es noch mehr auf uns wirken zu lassen. Hört sich jetzt vielleicht etwas Esoterisch an, ist aber toll! Zurück auf dem Schiff hat uns der Smut schon wieder ein fantastisches 3-Gänge-Essen gezaubert. Nach dem Essen legen wir ab. Die Wettervorhersage passt, so dass in der Nacht um das Südkap gehen soll. Mal schauen, wie wir dieses Mal durchgeschaukelt werden!
13.09.2023, 76° 49' 53'' N / 17° 21' 16'' E
06:30 Uhr. Wir sind nun auf der noch einsameren und kälteren Ostseite Spitzbergens angekommen. Die nächtliche Umfahrung des Südkaps war erstaunlich ruhig und hier ist es fast windstill mit kaum Seegang. Gen Westen bietet sich in der Morgensonne mit der großartigen Berg/Eislandschaft des Südkaplandes die ganz große Fototapete, nach Osten hin nur Meer und Wolken. Weit und breit keine anderen Schiffe, sehr starke Janz-Weit-Draussen-Vibes! Da die Ostküste Spitzbergens unter dem Einfluss des kalten Ostspitzbergenstroms steht ist diese, im Gegensatz zur Westküste, auch nur ein paar Monate im Jahr per Schiff erreichbar. Den Großteil des Jahres dominiert hier das Meereis. Wir nehmen Kurs auf die Hambergbukta, wo wir wohl nach dem Frühstück anlanden wollen.
13.09.2023, 77° 2' 33'' N / 17° 1' 3'' E
09:15 Uhr. Wir ankern in der Hambergbukta kurz vor der Abbruchkante des Hambergbreen. Das Wasser ist hier voll Eisschollen und Eisbrocken der beiden großen in die Bucht kalbenden Gletscher, Polarfeeling pur! Weiter mit den Zodiacs an den ganzen Eisschollen vorbei zu dem sehr kleinen Landstreifen zwischen den beiden Gletschern, wobei sich auch hinter den etwa 10 m Kies/Schuttstrand dann das Eis erhebt. So wie es aussieht wurde dieser Strand erst unlängst vom Eis freigegeben, und ist teils übler Schlamm durch das nasse Feinschliffmaterial, welches die Gletscher produziert haben. Der dunkle Strand ist mit Eisbrocken übersät und bildet in der Sonne zusammen mit den Eisschollen im Meer und der hohen Abbruchkante dahinter ein wunderbares Motiv! Wir teilen uns auf und unsere Gruppe latschen dann ein ganzes Stück aufs Eis den Gletscher hoch, auf dem sich eine dünne Neuschneedecke befindet, der Winter naht! Verglichen mit dem ersten Landgang vor zwei Tagen in der Tundra ist das hier eine wirkliche Polarwüste. Nur Eis und Schutt, gar kein Grün. Als Lebewesen erblicke ich nur einen einzelnen Meerstrandläufer, sowie ein paar Dreizehen- und Eismöven. Trotzdem wieder einmal eine gewaltige Szenerie in der wir uns befinden. Nach etwas mehr als zwei Stunden fahren wir zurück aufs Schiff und nehmen weiter Kurs nach Norden, wobei der Wind günstig steht und wir wieder ein paar Segel setzen können um die Maschine zu unterstützen. Mit gut 10 Knoten kommen wir recht zügig voran.
13.09.2023, 77° 29' 44'' N / 18° 11' 50'' E
17:00 Uhr. Wir erreichen unseren relativ ungeschützten Ankerplatz vor dem Boltodden. Es immer noch relativ windstill, wodurch kaum Seegang herrscht. Zum Glück, weil sonst könnten wir eine Anlandung an der Felsküste dort vergessen. Grundsätzlich fehlen an der Ostküste die verzweigten Fjorde wie an der Westküste, die dort sehr gute Anker- und Anlandeplätze bieten. Zusammen mit der Eissituation sicher einer der Hauptgründe, warum diese deshalb deutlich weniger aufgesucht wird. An mangelnder landschaftlichen Schönheit kann es nämlich nicht liegen. Aber wir haben Glück mit dem Wetter und die Anlandung an den schönen Sandsteinklippen gelingt problemlos. Hier hat es noch zwei aufgegebene Trapperhütten, ansonsten wieder ein schöner Tundramoosteppich. Die beiden verlassenen Trapperhütten sind übrigens das erstE an "Zivilisation" was wir an der Ostküste gesehen haben. Die mehr als 100 km Küste davor: Nüscht… und es kommt wohl auf den nächsten paar 100 km auch nichts mehr. Wir stoßen auf frische Eisbärenspuren im Morast, die durchaus beeindruckend sind. Die Viecher müssen schon ziemlich Brocken sein, um solche Tapsen zu hinterlassen. Tja, einer der Gäste macht ein Bild von und trampelt danach einfach mitten durch die Spuren, er hatte ja dann sein Bild. Ziemlich assi, der Rest der Gruppe hätte das sicherlich auch noch gerne unzerlatscht gesehen. Dann wird ein junger Eisfuchs erblickt, der am Strand herumtollt. Was für ein schönes Tier mit seinem prächtigen buschigen Schwanz. Zum Glück habe ich das Tele zur Hand und kann einige schöne Aufnahmen aus der Distanz machen. Wir begeben uns dann zurück zum Strand, denn dort im Sandstein ist das eigentliche Ziel unserer Anlandung, nämlich die noch gut erkennbaren versteinerte Fußabdrücke eines Iguanodon. Das hat man auch nicht so oft außerhalb eines Naturkundemuseums. Auf dem Weg zurück zu den Zodiacs wird aber nochmal der Eisfuchs in der Nähe erblickt. Wir begeben uns in Richtung wo er gesehen wurde und halten nach im Ausschau. Plötzlich springt er etwa drei Meter von Susanne entfernt unter einem Felsbrocken hervor in ihre Richtung. Also fast auf sie drauf. Der Fuchs erschrickt wohl genauso wie wir, macht wieder kehrt unter die Felsblöcke und lässt uns doch ziemlich verdutzt zurück. Es kommt bei uns auch nicht so oft vor, dass einem die Wildtiere fast in die Arme springen…
14.09.2023, 78° 11' 33'' N / 19° 16' 23'' E
05:30 Uhr. Die Nacht war leider wenig erholsam. Zwar rollte das Schiff nicht sonderlich, aber durch den aufgezogenen recht strammen Westwind und unseren Nordkurs brachen die Wellen auf unserer Seite an der Bordwand. Da unsere Kabine halb unter der Wasserlinie liegt rumpelte das mit entsprechendem Lärm jedes Mal ziemlich. Sehr nervig. Also ziehe ich mich mal an und gehe an Deck. Rechts haben wir mittlerweile auch die unbesiedelten Nachbarinseln Barentsøya und Edgeøya, wir kommen also im Storfjorden voran. Gerade werden noch die drei Segel wieder eingeholt, die wohl zur Unterstützung des Motors in der Nacht gehisst waren. Aber durch Wind, Seegang und Gicht ist es an Deck nicht sonderlich gemütlich. Wegen tiefhängender Wolken ist auch vom Sonnenaufgang nichts zu sehen, weshalb ich mich lieber wieder in die warme Kabine verziehe.
14.09.2023, 78° 34' 26'' N / 19° 13' 22'' E
10:00 Uhr. Wir fahren in in Richtung des Endes des Storfjorden zur Abbruchkante des Negribreen, des größten Gletschers der Hauptinsel. Es tauchen dies ersten Eisschollen auf, da der Negribreen ordentlich kalbt. Je weiter wir kommen, desto mehr Eis schwimmt um uns herum, die Brocken werden kapitaler aber auch das Wetter besser. Die Szenerie arktisch: at his best. Die Crew navigiert uns sicher durch das dichter werdende Eis in Richtung Abbruchkante. Wir machen etwa 500m vor der etwa 20 Kilometer (!) breiten Eisfront halt bei mittlerweile strahlendem Sonnenschein. Außer diverse Möwen, die reichlich um uns herumfliegen und die auf den Eisbrocken sitzen ließen sich bislang leider stundenlang keine anderen Tiere blicken. Aber egal, die Crew fängt dann an die Zodiacs für eine kleine Rundfahrt vor dem Eis fertig zu machen, weil Ansage Reiseleiter: "Hier ist es safe". Tja, kaum ausgesprochen fängt hinter uns ein riesiger Abbruch der Gletscherfront an. Wir hängen alle staunend und fotografieren an der Reling (ich filmend) und beobachten das Spektakel wie sich ein Eisberg bildet. Einfach nur krass, das Video sagt mehr als alle Worte. Da durch den Abbruch wohl die Tierwelt unter Wasser aufgeschreckt wird, beginnt kurz danach die nächste Show: Zuerst taucht vor uns ein Buckelwal auf, der sich diesen Snack nicht entgehen lässt. Unmittelbar danach streckt ein Zwergwal seinen Kopf aus dem Wasser, der sich ebenfalls den Magen vollhauen will, dicht gefolgt von einer Bartrobbe. Was ein Schauspiel und ich fotografiere wie ein Bekloppter. Zum Abschluss drehen wir dann noch die ursprünglich geplante Zodiacrunde im Eis. Was für ein Morgen, absolut lohnend!
14.09.2023, 78° 40' 48'' N / 21° 6' 24'' E
15:30 Uhr. Wir haben die Gezeiten richtig abgepasst und die Hälfte des nur 600 m breiten und schwierig zu fahrenden Heleysund passiert, die Durchfahrt zwischen der Hauptinsel und Barentsøya, und ankern in einer gut geschützten Bucht an Straumsland. Wir machen uns bei gutem Wetter an den Landgang in dieser sehr schönen Basalt- und Tundralandschaft. Ein paar Rentiere laufen hier rum, eines halte ich von hinten gesehen aus der Distanz zuerst für einen Eisbären bis ich das Geweih erkenne. Falscher Alarm. Weißes Fellknäuel von hinten sieht halt aus wie anderes weißes Fellknäuel von hinten. Die Bewegung tut gut und die aus Basaltsäulen geformten Klippen mit ein paar vorgelagerten Türmchen ist mit dem grünen Moosteppich davor wirklich schön anzusehen. Dann sehen wir gleich drei von den süßen und schneeweißen Eisfüchsen vor uns am Hang, die gerade einen Vogel verputzt hatten. Die Tiere haben erst einmal keine Scheu und wir können die drei eine gute Viertel Stunde beobachten und ausgiebig fotografieren. Noch besser als gestern! Dann verziehen die Eisfüchse sich die Klippen hoch, wo wir auch hingehen. Oben angekommen zeigt sich plötzlich ein paar Meter neben uns nochmal einer der Eisfüchse. Wir genießen oben auf dem Kliff die Abendstimmung und machen uns auf dem Weg zurück zum Schiff. Diese mehr als dreistündigen Wanderung war eine feine Sache. Um 21 Uhr passen wir das nächste Gezeitenfenster ab um die Durchfahrt durch den Heleysund zu vollenden. Was mir übrigens aufgefallen ist, seit wir an der Ostküste sind: kein Plastikmüll mehr an den Stränden im Gegensatz zu Westküste. Das liegt anscheinend am Ostspitzbergenstrom dort, der aus dem arktischen Meer kommt, im Gegensatz Westspitzbergenstrom, der den Dreck aus dem Atlantik an die Westküste bringt…
15.09.2023, 78° 58' 50'' N / 21° 40' 11'' E
05:30 Uhr. Wir haben die Nacht vor der kleinen Insel Kiepertøya geändert und eine ruhige Nacht gehabt. Ich begebe mich an Deck, niemand weit und breit wach außer mir, um den mal schönen Sonnenaufgang zu fotografieren. Und was sehe ich da im Wasser? Ein Walross! Eindeutig an den mächtigen Stoßzähnen zu erkennen. Ich renne gleich unter Deck um Susanne zu wecken, damit ihr das nicht entgeht. Sie kommt noch im Schlafanzug und nur die Segeljacke drüber und sieht die auch. Zwei tauchen kurz direkt neben dem Schiff auf. Was für Viecher mit den fetten Stoßzähnen. Die Walrosse tauchen immer wieder auf, gehen mal kurz an den Strand und ich fotografiere. Susanne und ich diskutieren, ob das was ist, wo auch der Rest geweckt werden sollte. Um kurz nach 6 ist die Küche besetzt, die meinen aber, wegen Walrosse brauchen wir nicht dem Rest Bescheid sagen. Das meint auch die Ankerwache. Dann halt nicht, wir haben es zumindest probiert. Um sieben kommen die ersten anderen Gäste an Deck, alle finden die Walrosse toll, die in Schiffsnähe schwimmen. Na gut, während des Frühstück lassen sich dann mehr als 15 Walrosse am Strand vor dem Schiff nieder… und den wollen wir uns jetzt dann beim Landgang aus der Nähe ansehen. Meine ganze Aufregung war mal wieder unnötig.
Mit gebührenden Abstand zu den Walrosse landen wir auf dieser kargen Felsinsel an. Der Strand ist dick bepackt mit Treibholz und leider wieder auch viel Plastikmüll, dieses Mal aber so gut wie nur Hinterlassenschaften der Fischerei wie Netze, Seile, Fässer etc., nicht schön, selbst an so einer abgelegenen Ecke. An der Anlandestelle hat es ein sehr altes Walskelett, wohl von einem großen Bartenwal (Blau-, Fin-, oder Grönlandwal, so genau kann man das nicht mehr sagen) und gerade die verbliebenen Schädelfragmente sind immer noch beeindruckend! Man beachte das Bild mit Susanne daneben als Größenvergleich. Einige 100 m weiter sind dann die Überreste eines unlängst als Eisbärenmahlzeit dienenden Walrosses. Hier hatte der Bär fein säuberlich die komplette dicke ungenießbare Haut in einem Stück abgezogen um an den Rest zu kommen. Ein recht morbider Anblick die sauber abgenagten Knochen mit dem stoßzahnbewährten Totenkopf und daneben liegt als Bündel noch die ganze Haut. Aber auch das ist Natur. Nach etwa 20 Minuten nähern wir uns dem Fleischberg der 15-20 schlafenden Walrösser. Ein sehr lustiger Anblick wie diese Brummer aufeinander liefen und kreuz und quer die Stoßzähne rausschauen. Bis auf etwa 50 m können wir uns nähern und beobachten sie dann ruhig gut 45 Minuten lang. Es ist ein lustiges Schnarchen, Pupsen und öfters Neuorganisieren des Fleischhaufens. Sehr sehens/hörenswert und fotogen. Auf dem Rückweg fangen wir dann an den Plastikmüll am Strand einzusammeln, von alleine macht sich das nicht weg und unsere Guides hatten dafür extra Säcke eingepackt. Tja, einen Pulk Deutsche im Urlaub sollte man nicht aufräumen lassen: Mit vollem Elan haben wir nach kurzer Zeit einen ordentlichen Berg gesammelt, der erst Mal zwei Zodiacs füllt, um den aufs Schiff zu bringen, um dann nach der Rückkehr in Longyearbyen hoffentlich sachgerecht entsorgt zu werden. Der Wind steht gut und nach dem Essen geht es nur unter Segeln in Richtung Nordaustlandet. Ich hätte nicht gedacht, daß wir bei der Reise noch in diese Ecke kommen, sehr schön!
15.09.2023, 79° 16' 14'' N / 22° 49' 26'' E
17:00 Uhr. Es zieht langsam zu und wir erreichen die Abbruchkante der Austfonna-Eiskappe von Nordaustlandet. Das ist mal ein Anblick, wie sich diese Eismauer im Meer bis an den Horizont zieht. Mit etwa 160 km Länge ist es immerhin die längste durchgehende Eisabbruchkante der Nordhalbkugel, in größeren Dimensionen findet sich sowas sonst nur noch in der Antarktis. Die Eiskappe selbst rankt sich mit dem Vatnjajökull in Island um den Titel des größten Gletscher Europas, wobei mancher Geologe den gar nicht gänzlich zu Europa zählt, Austfonna schon. Definitiv liegt dieser hier abgelegener. Nordaustlandet ist gänzlich unbesiedelt und aufgrund des Meereises mit dem Schiff überhaupt auch nur einige Monate im Jahr zu erreichen. Dazu passt, dass ich auch seit drei Tagen kein anderes Schiff gesehen habe. Außer ein paar Möwen und zwei Bartrobben die sich kurz sehen lassen ist es hier etwas arm an sichtbarer Fauna. Die Eiswand im Wasser ist die Attraktion und bei doch etwas räudiger werdendem Wetter fahren wir eine ganze Weile an der Abbruchkante entlang bevor wir wieder Kurs nach Nordwest setzen, um einen Ankerplatz bei den Inseln in der Hinlopenstraße zu erreichen.
16.09.2023, 79° 16' 21'' N / 20° 0' 19'' E
09:00 Uhr. Wir haben die Nacht sehr ruhig in einer Bucht der Insel Vanotterøya in der Hinlopenstraße verbracht. Über Nacht hat es einige Zentimeter Neuschnee gegeben, so dass die komplette Landschaft um uns herum zauberhaft weiß gepudert ist. Wir machen uns mit einer Gruppe von zehn Leuten auf zu einem längeren Wanderlandgang auf diese kargen Basaltinsel. Durch den Neuschnee ein schön winterliches Flair, das weiche Licht sorgt für wunderbare Pastelltöne und die Eiskappen auf der benachbarten Nordaustlandet sind schon ein Hingucker. Wir wandern über das verschneite Blockwerk über einen Hügel und weiter in Richtung Küste auf der anderen Seite. Ich laufe vorne mit unserem Guide Marcel, als er mal wieder einen Stopp macht, um mit dem Fernglas nach Eisbären Ausschau zu halten. Er zu mir: "Also bei Schnee erkennt man Eisbären eigentlich sogar besser, weil man dann nach etwas dunkleren Ausschau halten kann." So sprach er, setzte das Fernglas an, blickte zur Küste vor uns und sagte: "Oh, Scheisse, ein Eisbär!". Alle Blicke gingen in die Richtung und tatsächlich, noch in guter Entfernung liegt an der Küste ein kapitales Eisbärenmännchen. Sofort kommt von unseren Guides "Alle zusammenbleiben, keiner rennt weg, wir gehen jetzt zügig den Weg zurück zu Anlandestelle und schauen, dass wir wegkommen." Ich mache noch das, was man in so einer Situation als Möchtetgerntierfotograf natürlich macht: Rucksack auf, Teleobjektiv raus und noch schnell paar Bilder von dem Vieh machen. Wir machen also kehrt, alle diszipliniert. Der gut genährt wirkende Eisbär hat zwar den Kopf in unsere Richtung erhoben, entschließt sich aber doch in Richtung Meer zu trotten. Er hatte wohl grad keine Lust auf ein paar in Goretex gepackte Affen. An der Landestelle schauen wir, dass wir schnell in die Zodiacs kommen und zurück zum Schiff. Die Wanderung war dann doch kürzer als geplant, aber der Teil der Insel ist halt gerade Eisbärenland. Eisbären vom Boot aus zu beobachten ist mir glaube ich sympathischer. Auf eine Landesbegegnung wollte ich eigentlich auch verzichten, aber es ist ja für alle Beteiligten (wir und den Bären) gut ausgegangen. Aber immerhin: HA, Eisbär in freier Wildbahn gesehen!
16.09.2023, 79° 20' 53'' N / 19° 37' 59'' E
14:00 Uhr. Frei nach Sepp Herberger: nach dem Eisbär ist vor dem Eisbär! Wir wollen eine Stelle an der Nachbarinsel Wahlbergøya anfahren, wo an der Küste seit einigen Wochen ein Zwergwalkadaver am Strand liegt, den die Eisbären wohl Stück für Stück aufessen. Die Chance für eine weitere Sichtung, dieses Mal vom sicheren Boot aus, sollte deshalb dort recht hoch sein. Vorher passieren wir nochmal eine Walrossherde die am Strand liegt und stoppen dort für gut 15 Minuten. Vom Boot aus kann man die Walrosse auch toll beobachten und deren Geräuschkulisse und das Stoßzahnwirrwar sind schon lustig. Weiter geht es zu der Stelle mit dem angeschwemmten Walkadaver und was sitzt dort? Ein kapitales Eisbärmännchen, welches sich in aller Seelenruhe mit den für unsere Augen wenig appetitlichen, gammelnden Walresten den Magen voll haut. Gut, für den Eisbären ist so ein gestrandeter toter Wal natürlich willkommenes Fast-Food bei dem man sich die Mühen der Jagd spart und an 10 Tonnen Zwergwal fressen sich selbst ein paar Eisbären eine ganze Weile satt. Mittlerweile ist der Kadaver aber schon ziemlich runtergenagt. Wir können mit dem Boot relativ nah ranfahren und der Bär scheint sich nicht von uns gestört zu fühlen. Hinter dem Bär wuselt noch ein Eisfuchs am Strand herum, insgesamt ein tolle Szenerie. Irgendwann hat der Bär anscheinend genug gefressen und er macht sich behäbig aber doch anmutig vom Strand auf und den Hang hoch. Zwischendurch legt er sich mal hin und nach etwa einer halben Stunde verzieht er sich hinter einen Hügel. Ich mache natürlich etliche Fotos und die Nummer war für uns wesentlich entspannter als die Bärenbegegnung am Morgen. Nach weiteren 15 Minuten fahren wir mit den Zodiacs noch ganz nah an den Strand, aber ohne anzulegen, um die Reste des Wals noch näher anzuschauen. Arg viel Fleisch ist nicht mehr auf den Knochen, die schon recht verteilt sind. Wir warten noch bis 19 Uhr, ob sich vielleicht noch andere Eisbären blicken lassen, aber Fehlanzeige und wir fahren zu einem geschützten Ankerplatz auf der Südspitze der Insel für die Nacht. Das war ein Eisbärentag!
17.09.2023, 79° 20' 53'' N / 19° 37' 59'' E
08:30 Uhr. Und es geht eisbärig weiter! Wir fahren beim Frühstück wieder zurück zum Walkadaver, das Wetter mit Schneefall recht arktisch. Kaum angekommen was sehen wir da im Wasser? Wieder der Eisbär wie er sich irgendwelche Brocken des Kadavers unter Wasser holt. Nach ein paar Minuten im Wasser geht er mit einem ordentlichen Brocken Wal im Maul an Land und fängt mit seinem Frühstück an. Wir ankern, lassen die Zodiacs zu Wasser und unsere Guides testen mit den Booten, ob er sich durch uns gestört fühlt. Da er entspannt weiter am Kadaver rumnagt dürfen wir Gäste nun auch näher ran. Im Schneetreiben bin ich mit den anderen teleobjektivbestückten Fotografen im ersten Boot. Genial den noch näher als gestern zu sehen. Beeindruckend wie das größte Landraubtier hier einen Wal verputzt. Er schabt mit seinen Krallen Essbares von den Knochen und reißt auch mit den Maul immer wieder große Fetzen raus. Wir rotieren auf den Booten das jeder mindestens zweimal mit ranfahren kann. Der Bär frisst nun schon ganz in Ruhe mindestens eine Stunde. Bei der letzten Fahrt geht es dann sogar bis auf nur 10 m ran, so dass ich sogar mit dem Handy brauchbare Bilder machen kann inklusive Selfie von Susanne, Eisbär und mir. In freier Wildbahn. Hat man wohl auch nicht oft. Das hat wirklich alles unsere Erwartungen übertroffen und wir beide haben wirklich schon einiges gesehen!
17.09.2023, 79° 24' 22'' N / 19° 28' 57'' E
11:00 Uhr. Wir sind ein Stück weiter zur sehr kleinen Nachbarinsel Smittøya gefahren für einen kleinen Landgang vor dem Mittagessen. Mittlerweile ist aber das Wetter gekippt: Nebel, starkes Schneetreiben, null Sicht. Arktisch räudig. Die drei Guides gehen schon Mal an Land und versuchen die Eisbärenlage zu checken, was bei Null Sicht aber eher schwierig ist. So warten wir gut 45 Minuten im Schneetreiben an Deck bis die Sicht mal halbwegs wird und auch wir übersetzten dürfen. Wir stapfen dort dann eine halbe Stunde durch den Schnee, schauen drei Walrosse an die dort am Strand liegen und packen noch Plastikmüll auf dem Rückweg ein. Hauptsache etwas Bewegung.
17.09.2023, 79° 34' 25'' N / 18° 33' 16'' E
15:45 Uhr. Im Schneetreiben ging es weiter nach Norden zu den mächtigen Basaltklippen des Alkefjellet. Im Frühjahr und Sommer ist hier eine riesige Lummenkolonie, dann darf man sich den Klippen allerdings auch nicht nähern. Mitte September sind dort dann nur noch ein paar hundert Dreizehenmöwen, die eh überall an der Küste zu finden sind und man darf vom Wasser her nah ran. Wir haben mal wieder echt Dusel mit dem Wetter, kaum sind wir dort, hört es auf zu schneien und wird windstill. Das Meer ist spiegelglatt und es treibt nur wenig Eis im Wasser. In der ansonsten durch Wind und starke Gezeitenströmungen geprägten nördlichen Hinlopenstraße wohl eine Seltenheit. Die Zodiacs werden abgelassen und auf geht es zu einer längeren Fahrt direkt an den Klippen entlang und auch in diese hinein. Aus der Ferne wirkt das gar nicht so spektakulär aber wenn man dann nah dran ist, formen sich tiefe Rinnen und etliche mächtige, bis 80 m hohe Basalttürme heraus, was man in der Draufsicht so nicht erkennen kann. Wir fahren in einige der Rinnen hinein und auch um die Türmen herum, manchmal passt das Zodiac gerade so durch. Das Wasser ist wunderbar grün-blau und mit Eis versetzt. Ein toller Kontrast zum dunklen Basalt mit seinen weißen Kalkeinlagerungen. Eine unwirklich-schöne Szenerie wird uns hier mal wieder geboten. Wäre die ganze Vogelscheisse nicht, es ein paar Grad wärmer und wäre es nicht verboten, dann wäre es sicher ein interessantes Kletterziel…
17.09.2023, 79° 42' 3'' N / 18° 18' 3'' E
19:15 Uhr. Kurz vor dem Abendessen wird plötzlich die Maschine gestoppt: Delfine neben dem Boot! Wir packen die Jacken und Kameras, rennen an Deck und rings um das Boot sind überall Weißschnauzendelfine, die immer wieder kurz auftauchen aber teils auch vollends aus dem Wasser springen. Ein toller Anblick in der Abendsonne bei mittlerweile wieder gutem Wetter. Recht ungewöhnlich, dass wir die in der Hinlopenstraße antreffen, normal sind das eher Bewohner des offenen Meeres. Das ist nochmal ein Zuckerli an diesem eh schon ereignisreichen Tag.