Schweizer Plaisirrunde (August 2016)

 

„Schweiz Plaisir“ lautete das Motto der diesjährigen Alpenausfahrt mit Thomas. Aufgrund diverser Umstände, auf die ich hier nicht näher ein gehen will, waren die Rahmenbedingungen für die Auswahl der Kletterziele folgende: Moderate Zustiege, keine ausgesetzten Abstiege, keine Hüttenübernachtungen oder Biwak (ergo Zeltplatz oder Auto) und die Routen sollten nicht schwerer als 6a sein. In Kombination mit dem prognostizierten Wetter für die erste Augustwoche ergab sich dann für mich die Idee einer kleinen Schweizrundreise, um diverse Ziele aus den „Schweiz Plaisir“-Führern anzusteuern. Ich hatte ja schließlich auch Urlaub und wollte mal wieder schöne Routen unter dem eigenen Limit genießen. Aufgrund der sommerlichen Temperaturen waren Nordwände bzw. hoch gelegene Ziele ideal, und ich konnte dies nutzen um endlich mal in den Bockmattli-Nordwänden und am Miroir d´Argentine etwas zu klettern.

 

Die Ziele der Schweizer Plaisirrunde

 

Zuerst ging es am Montag dem 01.08 in Richtung Sanetsch, von dort hatte ich bislang nur Gutes gehört. Ich war auf der Anfahrt noch erstaunt, wie wenig Berufsverkehr in der Schweiz montags morgens ist und auch das es keinen LKW-Stau an der Grenze gab. Irgendwann hatte es dann bei mir Click gemacht: 01.08 ist ja Nationalfeiertag in der Schweiz…

 

Die nächste Fehleinschätzung meinerseits kam dann bei der vermeintlichen Anfahrt zum Sanetschpass von Norden her. Auf meiner 1 : 750 000 Straßenkarte sah das so aus, als ob man von dort aus mit dem Auto zum Pass gelangt. Blöderweise endet der nordseitige Zugang aber in einer Sackgasse an einer Seilbahn. Gut, da wir schon mal dort waren und keine Lust hatten wieder komplett außen herum zu fahren um südseitig von Sion aus den Pass zu erreichen, drückten wir die 21 Franken pro Nase ab und nahmen die Seilbahn zum Sanetsch.

Oben angekommen stellten wir fest, dass es von der Bergstation noch 1.20 h Fußmarsch bis zum eigentlichen Pass und den angepeilten Klettereien wären. Da es aber schon Mittagszeit war, verworfen wir diese Option. Direkt gegenüber von der Bergstation glänzte aber eine schöne Plattenwand. Am Fels angekommen sahen wir, dass auch mit Bohrmaschinen und Bolts bewaffnete Kletterer die Wand verlockend fanden, der ganze Felsriegel war komplett als Klettergarten eingebohrt (wie ich hinterher herausfand handelte es sich um den Klettergarten „Barrage“). Der Fels dort ist wunderbar wasserzerfressen, rau, solide und für mein Empfinden sehr (zu) eng mit Bohrhaken bestückt. Trotz etwas Nässe von nächtlichen Regen ging alles problemlos zu klettern und wir machten einige Routen im vierten und fünften Franzosengrad, die dort doch bis 50 m Länge hatten. Ein sehr schöner Plaisirauftakt in herrlichem Ambiente.

 

Am nächsten Tag stand dann das „Y“ als der große Klassiker am Grand Miroir Argentine auf dem Programm. Die etwa 400 m hohe Kalkplatte sieht schon von unten faszinierend aus und die angepeilte Route ist als Y-förmiges Risssystem, welches sich durch die ganze Platte zieht, sehr markant.

 

Wir waren zwar recht früh am Einstieg, allerdings waren direkt vor uns schon zwei Seilschaften in die Route eingestiegen. Naja, dachten wir uns, so lange ist die Route auch nicht, dann wird es halt etwas gemütlicher, wenn wir hinter denen klettern. Leider gehörten diese beiden Seilschaften zusammen und es war eine Art Einführung Jugendlicher in längere Klettertouren. Dies sah wie folgt aus: der Erwachsene von Seilschaft 1 kletterte voran und hängte alle Sicherungen vor, sein Seilzweiter (~12 Jahre) stieg ihm nach, lies aber alles hängen; der Seilerste (~14 Jahre) von Seilschaft 2 stieg dann Pinkpoint vor und seine Seilzweite (~12 Jahre) stieg nach, sammelte alles ein und übergab das Material an den Vorsteiger von Seilschaft 1, welcher am Stand wartete, damit diesem wieder das Sicherungsmaterial übergeben werden konnte. Wie sich der geneigte bergerfahrene Leser vorstellen kann, führte dies dazu, dass die beiden Seilschaften nicht sonderlich schnell vorankamen. Zudem war die Nachsteigerin von Seilschaft 2 noch etwas mit der Kletterei überfordert, lies ab und an Material auf mich regnen (welches ich denen dann wiedergebracht hatte) und zudem war der Kommunikationsdrang der Schweizfranzosen recht hoch. Thomas brüllte mehr als einmal hoch: „Don´t talk, climb!“.

Aus dem gemütlichen Hinterherklettern wurde langsam ein ätzendes Warten, so viel konnte ich am Stand gar nicht rauchen, damit die Zeit rumging. Wir verlagerten uns dann irgendwann aufs Dummbabbeln, wobei wir erst später merkten, dass die Seilschaften vor uns doch etwas Deutsch konnten. Immerhin war das Wetter super… Leider ließen die uns nicht überholen, und auf ein rüdes Überholmanöver verzichteten wir lieber, da ¾ der Seilschaften vor uns noch minderjährig waren. Wir wollten ja schließlich gute Vorbilder sein. Zunehmend genervt bemerkte ich dann nach der sechsten Länge, dass der Vorsteiger von Seilschaft 1 irgendwie ins Straucheln geraten war und auch dort wo er rumkletterte konnte ich es nicht ganz mit dem Topo in Übereinstimmung bringen. Tja, da hatte sich der Gute wohl verhauen, da er nicht in den eigentlich Rissarm des Y-abgebogen ist, sondern ein Band darunter, welches aber im Nirgendwo endet. Ha!!! Endlich konnten wir an den Vier vor uns vorbeiziehen, da ihn sein Rückzugsmanöver einiges an Zeit kostete und der Weg nun für uns frei war. Vor allem kam dann eigentlich der schönste Teil der Route, an dem man in einigen Seillängen diagonal aufwärts an einem Riss über die Platte mit viel Luft unter den Sohlen quert. Das ist eine wunderbare Kletterei, und die anderen beiden Seilschaften hatte wir jetzt hinter uns (die waren mittlerweile auch wieder auf dem richtigen Weg). Der Fußabstieg war harmlos, auch wenn es für den Geschmack von Thomas, vor allem zu Beginn, doch etwas luftig war. Das „Y“ (400 m, 6a) am Grand Miroir d´Argentine ist eine wunderbare Genussroute in fantastischem Ambiente und zudem für 5a obl. zu haben. Außer der mit 6a angegeben Crux ist die Route auch nicht abgespeckt. Die paar 6a-Meter werden ob der Politur wohl auch meist A0 gemacht. Solch eine Kalkplatte sucht wohl ihresgleichen in den Alpen, eine absolute Empfehlung für Kletterer mit Sinn für das Gesamtpaket.

 

Danach setzten wir an den Furkapass über, denn anderntags ging es zur „Via Franz“ in der Westflanke des kleinen Furkahornes. Diese führt nach kurzem Zusteige (40 min) im unteren Teil doch noch recht gesucht über sehr schöne Granitplatten direkt über dem Rhonegletscher. Das Ambiente ist wunderschön hochalpin, die Kletterei ob der Einfachheit und der massiven Bestückung mit Bohrhaken aber völlig harmlos. Da mein Kletterpartner noch etwas Defizite mit Granitplattenkletterei hatte (vor zwei Jahren im Eldorado fühlte er sich nicht sonderlich wohl), wurde dies unter einer „Übungstour“ verbucht. Es herrschte allerbestes Wetter und wir waren alleine in der Route. Nach den ersten 15 SL kann man problemlos nach rechts über ein Band rausqueren, was wir dann auch machten und auf den Gipfel verzichteten. Bis dahin ist es auch nie schwerer als 5a, das Meiste spielt sich im Bereich 3c/4b ab. Die Route kann so ob Absicherung, Felsqualität sowie Zu- und Abstieg wirklich jedem Anfänger empfohlen werden, welcher mal längere Routen klettern will. Aber auch erfahrenere Kletterer werden ihre Freude haben, da man durch die Route einfach durchmarschieren und Klettermeter machen kann. Die Felsqualität ist super! In den ersten 10 Längen ist rechts und links zwar immer viel Gras, die Route wurde aber geschickt durch die Felspartien gelegt. Die Längen 10 bis 16 sind dann wirklich wunderschön und ohne Gras rechts und links, aber natürlich auch recht leicht. Die Tour wurde meines Erachtens zu Recht in den neuen „Dreams of Switzerland“ Auswahlführer aufgenommen. Die Westwandplatten am Kleinen Furkahorn kann man im Prinzip als „Eldorado in leicht“ bezeichnen.

 

Das Bockmattli war dann das letzte Ziel der kleinen Rundreise. Vor Jahren hatte ich dort schon die „Namenlose Kante“ am Namenlosen Turm sowie das „Westwändli“ am kleinen Bockmattliturm geklettert und wusste deshalb, dass der Fels dort genial ist. Aber in den beeindruckenden Nordwänden der Türme hatte ich bislang noch nichts gemacht. Da 30°C vorhergesagt waren, war dies auch genau das richtige Ziel. Aufgrund des Abstieges vom großen Turm kam die „Direkte Nordwand“ als Extremenpausklassiker dort leider nicht in Frage (siehe Oben). Aber es gab ja noch die alte Nordwand (350 m, 6a) am Kleinen Bockmattliturm. Etwas kürzer und leichter, sowie ein einfacher Abstieg durch Abseilen vom kleinen Turm, das war genau das Richtige. Die Route quert vom Wandfuß rechts unten einmal durch die ganze Nordwand zum Gipfel des Turmes, und sucht klassisch den Weg des geringsten Widerstandes an Rissen und Rampen entlang.

Interessanterweise ist die Route im „Schweiz Plaisir“-Führer aufgenommen. Obwohl uns der Weg richtig Spaß gemacht hat, konnten wir das nicht wirklich verstehen. Durch die ganze Quererei ist spätestens nach der dritten Länge ein Rückzug sehr schwierig, ab dort gibt es eigentlich nur noch: Der Abstieg geht über den Gipfel. Zudem ist die Route in den ersten paar Längen noch recht eng gebohrt, dies Bolts werden nach oben hin aber immer weniger. Auch den langen Quergang in der fünften Länge würde ich niemand unerfahrenes nachsteigen lassen wollen (siehe Photo). Auch sollte man sich durch grasige und schlecht gesicherte Rinnen nicht abschrecken lassen (einen wahren Alpinisten ficht das natürlich nicht!). Ich glaub gerade in der vorletzten Länge haben einige Plaisiristen geschluckt, da der mit 4a ausgeworfenen Schwierigkeitsgrad auf der gebohrten Linie dort definitiv nicht zu finden ist, wie wir Beide übereinstimmend feststellten (eher 5c obl.). Zudem ist es auch noch so gebohrt, dass man diese Schwierigkeiten vom Stand weg ~8 m ohne Sicherungsmöglichkeit bringen muß. Wer da abschmiert klatscht auf ein Band… Die Absicherung in der Länge ist sportlich weit, ich hatte zum Glück genügend Reserven um das noch entspannt und sicher klettern zu können, es sollte aber meiner Meinung nach niemand probieren, der mit 5c am Limit ist. Rückzug ist von dieser Stelle aus auch nicht mehr drin. Anyway, wir fanden den Weg grandios: klassische Routenführung, ganz toller wasserzerfressener Fels, Nordwandambiente, das Gras stört nicht wirklich und man landet auf einem ordentlichen Klettergipfel. Ob das noch wirklich eine Plaisrroute ist, darüber kann man streiten, aber wir hatten unseren Spaß. Es war an dem Tag übrigens sonst niemand dort in den Nordwänden am Klettern.

 

In Summe war es eine sehr gelungene Kletterrundreise bei Top-Bedingungen, die Kletterei war entspannt und wir haben 43 SL Plaisir geklettert, ohne uns zu fürchten oder irgendwie zu verhauen. Das ist in dieser Seilschaft in den Alpen nicht immer selbstverständlich. Aber wir werden beide älter, Urlaub muss halt auch mal sein!

 

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© Thomas Schaub