Wo sind die Locals? Die einsame Monsterabfahrt ins Inntal und andere Besonderheiten während einer Tourenwoche in Tirol

 

Makellose Abfahrten mit > 2000 hm finden sich in den Alpen auch nicht gerade wie Sand am Meer, vor allem, wenn man sich dafür nur rund 800 hm Aufstieg in die Beine drücken darf. Wenn man diese dann bei besten Schneebedingungen noch zu einem ordentlichen Teil unverspurt auffindet, dann frägt man sich schon: Wo sind die ganzen Locals? Aber der Reihe nach, dass die Locals fehlten passierte mir diesen Winter bisher nicht nur einmal.

 

Der Tourenwinter 16/17 startete für mich am zweiten Novemberwochenende, wie im Jahr zuvor, wieder ziemlich früh. Aufgrund ergiebiger Schneefälle ging es spontan und alleine nach Schattwald. Als Ziel wurde der Ponten herausgesucht, der wird ja so häufig begangen und ist eigentlich immer gespurt. Genau das richtige Ziel für einen Alleingänger, der sich nicht durch den Neuschnee hochwühlen will. Tja, ich habe ganz schön blöd geschaut, als ich samstagmorgens um 09:00 Uhr am Beginn der Tour nur jungfräulichen Schnee sah.

Der Plan ging also nicht auf, ich durfte durch den gut halben Meter Neuschnee zum Ponten hochspuren. Dass ich dies als Nichtlocal mal machen muss hätte ich auch nicht gedacht. Es half aber alles nichts, also arbeitete ich mich langsam hoch. Nach etwa 2/3 des Aufstieges holten mich dann aber noch zwei Ulmer ein, denen ich dann für den Rest die Spurarbeit überlassen hatte. Deren Plan war auch: „Geh´n wir zum Ponten, der ist eh gespurt.“ Da ich den Großteil gespurt hatte, ließen die beiden mir aber auch die erste Abfahrt („dann sehen wir wenn es bei dir funkt, wo die Steine sind“) und so kam ich in den seltenen Genuss, die First-Line in die Abfahrt vom Ponten zu ziehen, im Gegensatz zu den beiden Nachfolgenden ohne Felskontakt… Tags darauf ging es dann noch hoch zum Kühgundkopf, dort war wenigstens gut gespurt, denn dieser wurde am Tag zuvor von einigen gemacht.

 

 

Aber wie im Jahr zuvor war es das dann auch nach Anfang November mit dem Schnee: Keine Niederschläge im Dezember und alles wurde wieder aper. Zum langen Dreiköngiswochenende hin hatte das Wetter aber Erbarmen und brachte satt Neuschnee, was zusammen mit Sebastian, Melanie und Tobi genutzt wurde, um im Allgäu das Wertacher Hörnle, den Wannenkopf sowie den Sonnenkopf zu machen. Dort waren dann auch zur Abwechslung zahlreiche (auch uns bekannte) Locals unterwegs. Dazu noch einen Tag Langlaufen in heimischen Gefilden sowie eine Skitour im Südschwarzwald und die Tourenwoche im Sellrain mit Sebastian Ende Januar konnte gut „eingefahren“ kommen.

 

Zum Auftakt beim Hinweg ging es im Bruchharsch auf die „Pleissspitze“ (immerhin gespurt) und dann ins Sellrain. Da im Inntal ordentlich Schnee lag und die Lawinenlage auf 2 unten war wurde für Sonntag dann die nordseitige Monsterabfahrt vom „Törle“ (~2700 m), eine Scharte südlich des Rietzer Grieskogel, ins Inntal auf den Plan gesetzt. Der Skitourenführer meint dazu auch: „Vor allem für Einheimische sind diese Touren ruhige Geheimtipps für stark frequentierte Wochenenden. Ungewöhnlich und doch lohnenswert bei passenden Bedingungen.“ Und hierfür gab es nun zwei Möglichkeiten: a) Aufstieg wie Abfahrt, d.h. 2100 hm und gut 16 km Wegstrecke, mit dem Vorteil, dass das Auto an Start- und Zielpunkt steht oder b) Aufstieg von Süden her kurz vor dem Kühtai auf ~1900 m beginnend, d.h. nur 800 hm Aufstieg, allerdings sind Start- und Zielpunkt doch sehr weit voneinander entfernt.

 

Wir entschieden uns für die Variante b), da sich durch den ÖPNV dies auch ohne zweites Auto gut bewerkstelligen lässt. Das Auto wurde morgens am Bahnhof in Völs abgestellt, mit dem Skibus ging es dann in einer Stunde zum Startpunkt nach der Zimbachalm auf 1869 m und nach der Abfahrt nach Flauringen-Bahnhof mit dem Zug zurück nach Völs.

 

Vom Startpunkt weg waren viele Tourengeher unterwegs, die gingen aber alle entweder zum Kreuzjoch oder zum Rietzer Grieskogel. Naja, die südseitigen Abfahrten waren ob des verharschten Schnees sicher nicht so der Bringer. Zu unserem Erstaunen war dann der Aufstieg zum „Törle“ nicht gespurt, d.h. der Geheimtipp hatte in letzter Zeit auch keine Locals gelockt. Aber egal, viel Spurarbeit war es nicht, da der Hang bald ziemlich steil und aper wurde, also ging es mit Ski auf den Rücken zu Fuß durch die Gneisschrofen. Als ich im Törle ankam und das erste Mal die Abfahrt erblickte, da musste ich spontan Jubeln: Ein riesiger Schneekessel, voll mit Pulverschnee und keine einzige Spur! Absolutes Traumgelände und im oberen Teil dazu auch noch kernig steil. Yeah!!!

 

Die ersten 50 hm ging es erst einmal noch mehr rutschend denn wedelnd den gut 40° steilen Hang runter, dann wurde es etwas flacher und wir konnten ganz viele Zöpfe in den Powder flechten. Weiter unten im Tal trafen wir dann doch noch auf zwei alte Abfahrtsspuren, die von den noch steileren Nordosthängen des Grieskogels runterkamen. Weiter durch wunderschönes und völlig einsames Skigelände zum Zwischenstopp an der (nicht bewirteten) Flauringer Alm auf 1613 m. Dort hatten wir schon gut 1100 hm Abfahrt hinter uns, bei normalen Skitouren wären wir da normalerweise eigentlich schon unten. Aber es folgten noch 1000 hm auf etwa 12 km Wegstrecke. Dies verlief dann zwar auf einen Forstweg, der war aber zur Rodelpiste planiert und das ging dann mit den Ski saumäßig ab und war eine Riesengaudi. Wir konnten unten raus dann bis zum Ortsrand von Flauringen-Bahnhof abfahren und mussten dann die Ski nur noch ein paar Meter durch den Ort zum Bahnhof tragen. Abfahrt von 2700 m auf 606 m bei perfekten Bedingungen und Top-Wetter an einem Sonntag, ohne auf andere Skifahrer zu treffen. Wo waren die Locals? Angeblich soll es im Großraum Innsbruck gut 50 000 Tourengeher geben… Wo auch immer die an dem Tag waren.

 

Süd-Nord-Skidurchquerung des Sellrain: Die 2100 hm Monsterabfahrt!

 

Die Beine waren danach schon schwer, so dass wir anderntags die Modetour zum Wetterkreuzkogel machten. Dort war gespurt, wir waren nicht die einzigen, aber auch das Wetter wurde langsam schlecht. Das Wetterkreuz war übrigens auch der einzige Gipfel, den ich in der Woche erreicht habe.

 

Den dringend nötigen Schneefall tags darauf nutzen wir dann auch, um einen Rasttag einzulegen. Da der Schnee zum einen auf eine ungünstige Unterlage traf und es zudem noch recht windig dabei war ging auch leider die Lawinenlage wieder hoch. Ich erinnerte mich an Wolfgangs Worte („Die Lampsenspitze geht immer!“), also war dies das nächste Ziel. Laut dem gängigen Führermaterial ein absolut überlaufener Modegipfel, „bei vernünftiger Wahl der Aufstiegsspur ist die Lawinengefährdung verhältnismäßig gering“ (meint der Tourenführer) und zudem gibt es dort noch einen „Skitourenlehrpfad“. Das sollte doch machbar sein und ist sicher gespurt.

 

Naja, ich sollte es ja mittlerweile eigentlich besser wissen: Wir kamen um halb neun morgens am Ausgangspunkt an und wir waren die einzigen in Richtung Lampsenspitze, ergo durfte ich auch erst einmal spuren. Immerhin wurden wir nach einer Weile von einem sehr schnellen Einheimischen Alleingänger überholt. Puuh, Glück gehabt, jetzt hatte er die Arbeit. Das Wetter und die Sicht wurden immer schlechter und auf ~2400 m kam er uns dann allerdings abfahrend wieder entgegen. Er meinte nur, dass er bei den steileren Hängen (~37°) umgedreht hat, da er kaum mehr was erkennen konnte und er meinte das Gelände wäre ihm dort bei den Bedingungen zu heikel, obwohl er es ganz gut kennt. Wir schauten uns das dann auch noch an, kamen dann an seinem Umkehrpunkt zum gleichen Schluss und drehten um.

 

Bei der Abfahrt kam uns ein weiterer Alleingänger aus München entgegen, der eigentlich erst auf den Nachbargipfel wollte, dann aber umgedreht hatte, weil es dort keine Spur gab. Er wollte einfach in unserer Spur auf die Lampsenspitze, der Plan half ihm aber auch nicht weiter, da, naja, unsere Spur im Nirgendwo aufhörte. Wir trafen ihn später unten wieder, er ist dann auch umgedreht, wo wir aufgehört hatten. Wir waren also nicht die einzigen mit verbesserungswürdigen Plänen. Witzigerweise trafen wir den gleichen Münchner zwei Tage späte noch einmal beim Kreuzjoch (wir bei der Abfahrt, er beim Aufstieg), seine erste Frage an uns war: „Geht die Spur diesmal auch ganz hoch?“

 

Etwas erholter nahmen wir anderntags bei sehr schönem Wetter dann die recht lange Tour auf den „Angerbergkopf“ in Angriff. Leider war die Lawinenlage immer noch nicht sonderlich optimistisch, v.a. die Angabe „Über 2300 m im kammnahen Gelände der Exposition W über Nord bis Ost frischer Triebschnee auf sehr ungünstiger Unterlage, welcher komplett gemieden werden sollte“. Blöderweise ging der Schlussanstieg genau durch solches Gelände. Aber optimistisch wie wir waren und ob der Angabe im Tourenführer (dem wir immer noch uneingeschränkt vertrauten) soll es zumindest bis zum Nachbargipfel oft begangen sein und zudem: „Bei vernünftiger Wahl der Aufstiegsspur nur in extremen Situation z.B. starke Schneefälle mit Windverfrachtung, lawinengefährdet“.

Die ersten 900 hm und 8 km Wegstrecke ging es noch recht monoton aber gemütlich über durch Rataks planierte Forstwege das Fotscher Tal über den Gasthof Bergheim zur Furgess Alm. Ab da wieder das übliche Spiel: Soll oft begangen sein, aber ich durfte trotzdem wieder spuren, keine anderen Tourengeher weit und breit. Zudem hätte dem verblockten Gelände ein Meter mehr an gesetztem Schnee auch gutgetan.

Aber es half alles nichts, erst einmal noch 400 hm durch den Neuschnee hochgewühlt, aber gut 50 hm unter dem Gipfel, Kammlage, westseitig, wurde es dann doch noch einmal deutlich über 30° steil. Tja, bei den Spitzkehren rutschte mir schon gut der Triebschnee unter den Ski weg und ich weiß jetzt auch was ordentliche Setzgeräusche sind. Der Lawinenlagebericht traf hier leider genau voll zu und es wäre genau da hochgegangen, wo man eigentlich bei der Lawinenlage nicht hoch sollte. Da ich die Funktionsfähigkeit meines Lawinenairbags und die Grabfähigkeiten meines Tourenpartners nicht testen wollte bedeutete dies dann: Abbruch. Nach über 1350 hm Aufstieg, 50 hm unter dem Gipfel. Bitter, aber lieber einmal zu oft umgedreht als einmal zu wenig.

 

Nach diesem Sack wollten wir am letzte Tag auf Nummer sicher gehen und der Mitterzaigerkopf war das letzte Ziel. Dort war am Sonntag zuvor schon die Hölle los, wie wir beim Aufstieg zum „Törle“ gesehen haben, sollte also keine Probleme bereiten. Zum Gipfel geht es die letzten 50 hm vom Kreuzjoch aus zu Fuß, aber laut Tourenführer (ja, ja, wir hätten es mittlerweile eigentlich besser wissen müssen): „Vom Kreuzjoch zum Gipfel zu Fuß. Grat mitunter überwechtet, jedoch meist gute Stapfspuren.“ Ich wollte unbedingt noch einen Gipfel abknipsen. Hier waren wir wenigstens mal nicht alleine, es gingen doch noch einige die gleiche Spur hoch und bis zum Kreuzjoch war das auch alles problemlos und easy.

Blöderweise war der Grat zum Mitterzaigerkopf dann doch fies überwechtet und von den guten Stapfspuren zum Gipfel war auch nichts zu sehen. Es konnte sich auch keiner der anderen anwesenden Tourengeher dazu überwinden, dort bei den Bedingungen hochzustapfen (mich eingeschlossen). Und so war es dort auch wieder nichts mit dem Gipfel. Immerhin gab es bei gut der Hälfte der Abfahrt noch Pulverschnee, die untere Hälfte war dann allerdings Bruchharsch. Arbeit statt Eleganz sag ich nur.

 

Die Bilanz der Tourenwoche in Tirol: Sechs Skitouren in sieben Tagen, 5570 hm Aufstieg, 6870 hm Abfahrt, 0 m Piste, das ganze Spektrum an Schnee angetroffen (Pulver, Firn, Sulz, Bruchharsch, Eis), einmal den Belag bis zum Kern von den Ski gehobelt, einen Gipfel erreicht, auch auf Modetouren kann man alleine sein, Geheimtipps können wirklich Geheimtipps sein und wo sind die Locals?

 

Aber geil war es trotzdem!

 

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© Thomas Schaub