Warum in die Ferne schweifen...

 

… wenn eh nur das Nahe erreichbar ist. Länger gab es hier von mir nichts Neues, was an den wohl allseits bekannten Umständen von Covid-19 liegt. Die geplante Skidurchquerung durch die hohen Tauern Ende März fiel dem Corona-Lockdown zum Opfer, der geplante Besuch Korsikas Ende Mai den zu dem Zeitpunkt noch geschlossenen Grenzen zu Frankreich und der Kaukasus-Urlaub Anfang Juli ebenfalls den ganzen Corona-Einschränkungen (die Flüge wurden von Aeroflot eh gestrichen). Nach mehr als zehn Jahren des sehr aktiven Reisens weltweit wurde die Welt auf einmal wieder ein ganzes Stück kleiner. Nachdem wir letzten November unser Projekt „alle Kontinente“ abgeschlossen hatten, mit entsprechend verheerender Flugbilanz und auch da ich im letzten Jahr 43 Tage dienstlich außer Haus war (u.A. zweimal USA), wollten wir es dieses Jahr sowieso etwas langsamer angehen lassen und vor allem weniger Fliegen. Ich war ehrlich gesagt auch langsam vom den vielen dienstlichen als auch privaten Flügen genervt, dafür ging schon viel Lebenszeit drauf. Dank Covid-19 wurde uns diese Entscheidung dann genommen.

 

In Anbetracht des guten Wetters bei uns in der Pfalz die letzten vier Monate habe ich die Zeit mehr oder minder genutzt, um sehr viel in der Südpfalz zu klettern, die ein oder andere Erstbegehung zu machen, Routen zu sanieren, sich um die Wanderfalken kümmern und viel mit dem Crosser durch Wald und Wiesen zu radeln. Es hat in solch einer Situation Vorteile in einer Gegend zu leben, wo andere auch gerne Urlaub machen, aber davon gab es jetzt nicht so viel zu berichten. So schön es daheim doch ist, hatten wir auch mal wieder einen Tapetenwechsel nötig. Da der Anfang des Jahres eingereichte Urlaub für den Kaukaus genommen werden musste, entschieden wir uns kurzerhand dafür, nachdem klar war das man wenigstens wieder frei im Lande verreisen konnte, diesen Urlaub in heimischen Gefilden zu verbringen. Als sichere Bank für einen schönen Kletterurlaub fiel deshalb die Wahl auf die beiden anderen Ecken im Lande, in denen wir gerne sind: Eine Woche Elbsandsteingebirge und eine Woche ins Allgäu. Zuerst schön schlingengesichertes Klettern im wunderschönen Sandstein des Ostens, dann Haken clippen im floralen Kalk der Allgäuer Alpen. Für das Kontrastprogramm kam auch noch das Kanu mit auf die Reise.

 

Elbsandstein:

 

Im Elbsandsteingebirge bezogen wir unser Quartier wie üblich wieder einmal auf dem Camping Entenfarm in Hohnstein. Erwartungsgemäß war der Campingplatz rappelvoll, die Option „Urlaub im Lande“ wurde natürlich auch von vielen anderen gewählt. Im Elbsandstein selbst waren unglaublich viele Wanderer unterwegs, andere Kletterer hingegen sahen wir nur wenige. Trotz der Einschränkungen zieht das Elbsandstein wohl selbst bei der gegenwärtigen Lage ob der Rahmenbedingungen des sächsischen Kletterns (die es für mich ausmachen) immer noch nicht die Massen. Gut so. Wie schon vor zwei Jahren geschrieben (Elbsandstein 2018), halte ich das Elbsandsteingebirge für eines der Klettergebiete mit den schönsten leichten Routen (neben dem Arapiles in Australien). Genau das richtige für die Seilschaft mit der Liebsten, wo schwere Routen eher nicht so aufs Programm kommen. Genüssliches Steigen lautete das Motto, ergo Routen im Sachsengrad I-IV, mit dem Fokus auf Sternchenwegen. Ich hatte mir vorgenommen nichts zu klettern, was Ringe als Zwischensicherung hat und habe mich fast daran gehalten. Ok, auf den Muselmann haben wir dann eine mit zwei Ringen gut gesicherte 7a als Ausreiser nach oben gemacht, aber da war der Alte Weg sogar mir zu müllig. Trotz ein paar Regengüssen konnten wir dort sechs Tage in Folge klettern und in Summe 30 Wege auf 30 verschieden Gipfel machen (siehe Routenliste). Ich durfte halt jeden Meter vorsteigen, ob Leichtheit der Routen war das aber kein Problem, auch wenn ich danach schon erstmal etwas gar war. An zwei Tagen schlossen sich uns noch gute Bekannte aus Dresden zum Klettern an wodurch auch der soziale Aspekt nicht zu kurz kam. Als Abwechslung ging es vormittags mal mit dem Kanu von Krippen bis Wehlen die Elbe hinunter, was bei dem relativ hohen Wasserstand (im Vergleich zu vor zwei Jahren) eine recht zügige Fahrt war.

 

Gekletterte Wege im Elbsandstein: Sandlochturm - Nordwestweg (II), Vandale - Alter Weg (II), Insel - Schluff (III), Nashorn - Südwestweg (I), Elefant - Alter Weg (II), Mönch - Südostweg (III*), Talwächter - Kappmeierweg (III*), Plattenstein - Südwestriss (IV*), Hinterer Gansfels - Alter Weg (II), Muselmann - Südkante (VIIa), Findling - Wändchen (IV*), Gohrischscheibe - Alter Weg (III), Zwergfels - Zwergenaufstand (IV*), Narrenkappe - Talweg (IV), Große Hunskirche - Variante zum Alten Weg (III*), Spannagelturm - Alter Weg (IV**), Felix - Alter Weg (III), Felicitas - Alter Weg (I), Verlassene Wand - Alter Weg (III*), Felsensportnadel - Alter Weg (III*), Wolfskopf - Südostwand (IV**), David - Talweg (IV), Falkenwand - Alter Talweg (IV**), Hinterer Dürrebielewächter - Südkante (IV**), Daxenstein - Südostkamin (I*), Zarathustra - Südwand (II*), Großer Mühlenwächter - Variante zum Alten Weg (II*), Goliath - Talweg (III), Cima - Alter Weg (III), Castello - Westverschneidung (III*). 

 

 

Allgäu:

 

Nach einer sehr schönen Woche im Osten dann 650 km Autofahrt zum Gebietswechsel im Allgäu, was dann auch der „Ruhetag“ war. Als Kontrast zum Camping hatten wir uns in einem Hotel in Wertach eingemietet. In einem ruhigen Zimmer schläft es sich einfach besser als im Zelt auf einem vollen Campingplatz. Das Motto war dann dort auch etwas für die Oberschenkel zu machen, ergo alle Routen vom Tal aus angehen. Das lief dann auf 3832 Hm Aufstieg mit dem Klettergeraffel auf dem Rücken (und natürlich genauso viele hinunter) in vier Tagen in Folge hinaus. Zu den gekletterten Routen siehe unten. Das Angebot an leichten, gängigen Wegen mit alpinem Touch ist vor allem in den Tannheimer Bergen hoch und diese waren von Wertach aus auch schnell erreichbar. Unerwarteterweise waren in den sonst so beliebten Tannheimern trotz Bombenwetter nur wenige Kletterer unterwegs. Sowohl am Gimpel als auch am Aggenstein und der Gehrenspitze waren wir die einzigen Kletterer (am Zinken sowieso). Im Gegensatz zu Wandersleuten, davon waren nämlich große Mengen unterwegs, vor allem am Aggenstein war ein enormer Andrang an Bergwandererm und das unter der Woche. Keine Ahnung, wo sich aktuell eigentlich die ganzen Kletterer im Urlaub rumtreiben. Im Elbsandstein und in den Tannheimer anscheinend nicht. Wahrscheinlich waren die alle in der Pfalz… Nach dann 10 Klettertagen in 11 Tagen (wie schon erwähnt, der Ruhetag waren 650 km Autofahrt) war ich dann durch. Am letzten Tag im Allgäu paddelten wir dann gemütlich mit dem Kanu auf dem Haldensee herum und machten noch einen ausgiebigen Spaziergang über die Wiesen zur Rekonvaleszenz. Die Ausbeute an schönen Wegen in den zwei Wochen war ergiebig und man muss nicht immer in die Ferne schweifen um eine gute Zeit zu haben, auch wenn das Fernweh doch etwas im Kopf hämmert…

Zu den gekletterten Routen im Allgäu:

 

Zinken, „Nordgrat“ aka „D´r Olt und d´r Jüng“, 6- (9 SL): Zum Auftakt im Allgäu ging es an diese Halbtagesroute am recht bewaldeten Zinken über dessen markanten Nordgrat. Da an dem Tag ab Mittag Regen gemeldet wurde, war etwas Gas geben angesagt. Die Route an sich geht durch tollen, rauen und festen Kalk und ist plaisirmäßig eingebohrt (10 Expressen am Gurt reichen). Allerdings geht der Zustieg weglos durch recht steiles Schrofengelände. Orientierungssinn im Wald und sicheres Schrofengehen sind hilfreich und stellt objektiv auch den gefährlichsten Teil der Tour dar (es sollte auf jeden Fall trocken sein!). Lustig ist immer der Blick nach unten beim Klettern: Man sieht nur grün und glaubt nicht, dass man eine Route im unteren sechsten Grad in gutem Fels klettert. Überall wo es etwas weniger als senkrecht ist sprießt in dem Gelände die Botanik. Nach Erreichen des Zinken bietet sich die Überschreitung zum  Sorgschrofen und Abstieg Richtung Jungholz an.

 

 

Gimpel, „Südostwand“, 3+ (8 SL): Genüsslich klassisches Klettern. Der Weg schlängelt sich geschickt auf dem Weg des geringsten Wiederstandes durch den höchsten südseitigen Wandteil des Gimpels. Die Seillängen sind i.A. 40-45 m und alle 10-15 m steckt ein Haken, was ganz angenehm für die Orientierung ist.  Für den sicheren Dreiersteiger ein purer Genuss und mobiles Sicherungsmaterial habe ich da keines benötigt (würde aber sicher gehen). Ab und an etwas loses Material, was in dem Schwierigkeitsgrad zu erwarten ist, was aber nicht weiter stört. Der seilfreie Abstieg im steilen Schrofengelände vom Gimpel mit Kletterstellen im zweiten Grad sollte etwas konzentriert angegangen werden und ist bei Nässe sicher unangenehm. Im Anschluss, wenn man eh schon den größten Teil den Zustieg gemacht hat, bietet es sich noch an auf die Rote Flüh zu wandern.

 

 

Gehrenspitze, „Südwestkante“, 3+ (5 SL): Ein etwas ungünstiges Verhältnis von Zustiegs-zu-Klettermetern und eher als „Hike-and-Climb“ Tour zu betrachten. Obwohl in allen Kletterführern der Zustieg vom Lechtal aus angegeben ist, sind wir vom Tannheimer Tal aus gestartet. Das bietet sich v.a. an, wenn man kein Fahrrad dabei hat (man spart etwa 200 Hm). Laut Karte ist es auch kaum länger. In der Route selbst stecken pro Seillänge zwei/drei Haken, mobiles Sicherungsmaterial am Gurt fand ich nützlich. Die untern drei Längen sind etwas verhalten, teils brüchiger Fels (auch größere lose Brocken) und an einigen Stellen seltsam für den angegeben Grad (oder ich habe die Linie nicht getroffen). Obacht mit Steinschlag, da man dort direkt über der Rinne des Normalweges klettert! Nichts lostreten, wenn unten Bergwanderer unterwegs sind. Die letzten beiden Längen auf der eigentlichen Kante sind aber tolles, exponiertes Steigen in gutem Fels. Der Abstieg von der Gehrenspitze erfordert auch nochmal Aufmerksamkeit, da man vom Gipfelaufbau im Absturzgelände IIer-Stellen im abklettern darf.

 

 

Aggenstein, „Südwestkante“, 4-, (5 SL): Schöne Kletterei in für den Schwierigkeitsgrad sehr gutem Fels. Klare Linie (immer der Kante nach) und es stecken zwei/drei Haken pro Länge, kann aber mit mobilem Sicherungsmaterial gut ergänzt werden. Der Übergang vom Vor- zum Hauptgipfel lässt sich auch noch gut sichern, wenn man das mit Seil geht (zwei Haken; IIer Stelle). Im Juli blühen in der Route viele Edelweiß!

 

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© Thomas Schaub