Dreams of Switzerland und Wetterkapriolen (August 2020)

 

Und wieder stand die, mittlerweile zu einer Art Tradition gewordene, jährliche Kletterausfahrt mit Stefan in den Granit an. Der ursprüngliche Plan waren die Nordkanten von Fußstein und Grundschartner in den Zillertaler Alpen (OK, es ist Gneiss dort), am weit vorab dafür freigehaltenen langen Wochenende war aber die Wettervorhersage fürs Zillertal unterirdisch.

 

Wie schon so oft bei uns galt deshalb: Wer weit vorab plant, plant mehrfach. Da die Wettervorhersagen eigentlich für alle Granitecken in den Alpen am zweiten Augustwocheneden 2020 durchwachsen waren fiel die Wahl dann kurzfristig auf die bekannte Region Grimsel/Furka. Da sollte es zumindest freitagnachmittags, samstags und sonntags brauchbare Wetterfenster für ein paar längere Touren geben.

 

Zudem ist es für uns bekanntes Terrain, der Granit ist perfekt (siehe aktueller SAC-Auswahlführer „Dreams of Switzerland“) und man kann irgendwo spontan übernachten. Alle in Frage kommenden Hütten waren nämlich leider Fr-So schon ausgebucht, von So auf Mo konnten wir aber wenigstens noch eine Nacht in der Albert-Heim-Hütte ergattern.

 

Für den Auftakt am Freitag hatten wir die Tour „Savoir Vivre“ (14 SL, 6b) an der Gelmerfluh gewählt (Topo siehe: www.filidor.ch/Images/Doc/gelmer_savoir.pdf). Da es morgens noch regnete, starten wir erst recht spät in der Pfalz (7 Uhr) und waren dann um 12 Uhr am Einstieg. Der Regen hatte zwar aufgehört und der Großteil der Tour war schon abgetrocknet, leider hate es doch noch den ein oder anderen Wasserstreifen in den Plattenlängen, also genau dort, wo man es nicht brauchen kann. Ob der unlängst erfolgten sehr großzügigen Sanierung aus dem Umfeld des Känel-Clans ging das ob sehr hoher Bohrhakendichte aber auch (manch nachträglicher Bohrhaken neben perfekten Granitrissen hätte nach meinem Geschmack nicht sein müssen, aber da wurde wohl der Känelsche-Plaisirgedanke konsequent angewandt). Die Route ist auch so gebohrt, dass man mit etwas Kreativität für 5c+ obligat durchkommt. Wie die kurze 6c+-Plattenstelle in der 7. SL zu klettern ist hat sich weder mir noch Stefan auch nur ansatzweise erschlossen; dieses Problem ließ sich aber, den Freiklettergedanken grob missachtend, durch beherzten Griff in die Expresse lösen. Die Route selbst bietet auf den 14 Längen fantastische und abwechslungsreiche Kletterei, wobei eigentlich alles geboten wird, was das Granitklettern ausmacht: Reibung, Piazen, Fingerriss, Handriss, ein paar Meter Kamin und oben raus schöne Wandkletterei. Der Charakter wechselt nämlich nach den ersten 8 Längen von geneigt plattig/rissig gletschergeschliffenem Fels zu steilerem verwittertem und dadurch strukturierten Granit, der eher Wandkletterei bietet. Normalerweise übernimmt Stefan in dieser Seilschaft als die schwereren Längen, da ich aber anfing, erwischte ich durch die Wechselführung diesmal die schweren Längen (6b und 6a+ 1 p.a.), ging aber auch. Das Wetter hielt zum Glück während des Kletterns, pünktlich am Ende der Tour setzte aber der Regen ein (der nicht gemeldet war), so dass wir 10 Abseillängen im Regen und Nebel absolvieren durften was nicht so prickelnd war. Und natürlich hörte es auf zu regnen, als wir durchnässt am Wandfuß ankamen.

 

Dann kam die nächste Schlüsselstelle des Tages: Wo übernachten? Am Grimselpass selbst ist das Biwakieren/Zelten untersagt, am Grimselsee auch wg. Naturschutzgebiet. Neben der Straße wollten wir ob Lärm und etwas Privatsphäre auch nicht nächtigen. Zudem war das Wetter unsicher, weshalb wir auch das Zelt aufbauen wollten. Da in der Schweiz das Übernachten für eine Nacht über der Baumgrenze toleriert wird (solange es an dem Ort nicht dezidiert verboten wie am Grimselpass oder ein Naturschutzgebiet ist) entschieden wir uns nach einigen Erkundungen, unser Zelt am der Straße abgewandten Ende der Staumauer des Rätrichsbodensees aufzuschlagen nach der Devise: Zelt bei Dunkelheit aufschlagen und noch in der Dunkelheit morgens wieder abbauen. Glücklicherweise liegt die Staumauer gerade so über der Baumgrenze, aber noch nicht am Pass oder im Naturschutzgebiet. 

 

 

 

Nach der Staumauernacht fuhren wir morgens zum Grimselhospiz, da mal wieder das Eldorado auf dem Programm stand, eines der schönsten und besten Klettergebiete nach meinem Empfinden. Blöderweise wird gerade die Staumauer neu gebaut, was wohl noch bis 2025 dauert. Ergo: Der übliche und in allen Kletterführern angegebene Zugang über die Staumauer vom Grimselhospiz aus war nicht möglich, was sich einem erst an der Staumauer erschloss. Rumgesprochen hat sich dies wohl noch nicht wirklich, denn es waren noch vier andere Seilschaften dort, denen es wie uns erging. Also runter ins Sommerloch, zum alternativen Parkplatz, von dem aus sich der Zustieg zum Eldorado leider noch um einige Höhenmeter verlängert.

 

Das gute Wetter an diesem Samstag nutzten nicht nur wir für einen Eldorado-Besuch. Am großen Klassiker „Motörhead“ waren schon drei Seilschaften in der Tour als wir ankamen und 5(!) weitere Seilschaften standen am Einstieg an. An der ebenfalls tollen „Septumania“ galt es ebenfalls schon Platzkarten zu ziehen. Zum Glück standen diese beiden Routen bei uns nicht auf dem Programm, da wir die schon vor ein paar Jahren gemacht hatten (siehe: www.morchel.org/ziele-geschichten/reiberei-eldorado-okober-2012/). Wir hatten die „Schweiz Plaisir“ (13 SL, 6a+) gewählt und in der Tour war noch niemand zugange als wir ankamen. Sehr gut, alles richtig gemacht. Nach uns stieg zwar noch eine Allgäuer Seilschaft ein, die waren aber sehr entspannt und auch unser Angebot, dass sie uns gerne überholen können, wurde freundlich ausgeschlagen („Dann haben wir euch die ganze Zeit hinter uns; passt schon wenn ihr vor uns seit, wir haben Zeit.“).

Die Route bewegt sich konstant zwischen 5c und 6a+ und ist für Eldoradoverhältnisse recht abwechslungsreich. Klar, man hat auch das übliche Reibungsgeeiere auf von den Gletschern abgehobelten Platten, in dieser Tour hat es aber in der Mitte einen Bereich recht strukturierten Granits, der für ein paar Längen steilere Wandkletterei bietet. Dazu kommt der herausragende, breite 50m Riss in der 7. SL (6a). Ich ließ es mir nicht nehmen, diese Länge zu führen und schrabbelte mich konsequent im Riss hoch (da musste man von elegantem Plattentänzeln auf rustikale Arbeit umschalten). Ich fand die Länge genial, v.a. da man bei der Absicherung selbst Hand anlegen durfte, Stefan hingegen fand die Länge Müll. Dafür hat er die 6a+-Platten geführt, so ergänzten wir uns mal wieder gut. Die Tour hat nicht ganz die Klasse wie die Motörhead oder die Septumania, ist aber trotzdem hervorragend und wäre in anderen Klettergebieten sicher die Top-Tour.

 

Nach dem Hatscher zurück vom Eldorado ging es hoch an deb Furkapass, wo wir unser Lager für die nächste Nacht aufschlugen. Das Zelten am Furka toleriert wird hat sich mittlerweile wohl herumgesprochen. Wir ergatterten gegen 21 Uhr noch den letzten Parkplatz oben am Pass. Dort war schon eine kleine Zeltstadt aufgebaut (und natürlich viele Wohnklos). Zum Glück hatten wir das Zelt dabei, in der Nacht schüttete es nämlich ganz ordentlich, was so eigentlich nicht gemeldet war.

 

Anderntags marschierten wir morgens zur Albert-Heim-Hütte und eigentlich stand die „Niedermann“ an der Grauen Wand auf dem Programm. Wir holten uns noch Infos beim Hüttenwirt, wie denn das Wetter werden sollte. Tja, es war ab 14 Uhr Regen/Gewitter gemeldet. Das passte uns jetzt nicht so wirklich in den Plan, da die Graue Wand ob des Regens der Nacht eh erst noch etwas abtrocknen musste aber mit 14 Uhr schon wieder Regen, das würde uns zeitlich nicht reichen (vor allem seilt man nicht über die Tour ab, man muß also durch). Also wieder Neuplanung. Es hätte zwar noch paar Klettergärten um die Hütte gehabt, aber das war dann irgendwie auch nicht das, worauf wir Lust hatten. Längere Touren waren wg. Wettervorhersage nicht drin. Nach etwas hin und her entscheiden wir uns dann, einfach Wandern zu gehen und uns etwas der Prokrastination zu widmen. Also ab durchs Gelände hoch zur untern Bielenlücke, noch das kleine Bielenhorn mitnehmen und über den „Nepali-Highway“ zurück zur Hütte. Eine schöne 4 h Rundtour. Auf dem Weg zur Bielenlücke entdeckte Stefan dann irgendwas Rotes aus Kunststoff auf einem Schneefeld. Erst dachte er „Cool, ist das ne Gore-Tex-Jacke?“. Aber das war es nicht, v.a. die Latexhülle, die dabei lag. Stefan konnte damit nicht wirklich was anfangen, ich meinte aber, das sei ein abgestürzter Wetterballon. Da an einem Wetterballon normal eine Meßeinheit mit Sender hängt, machten wir uns auch noch auf die Suche nach diesem. Etwas entfernt fanden wir dann auch eine überraschend große Styroporbox mit der ganze Mess- und Sendelektronik und dem Aufdruck, dass von der SwissMeteo war. Wir packten das alles mal ein und trugen es noch bis zurück zur Hütte. Stefan übergab den Ballon und Sender dann dem Hüttenwirt mit dem Kommentar „Wir haben das jetzt schon vom Berg bis hier runtergetragen, ins Tal darfst du es bringen. Ist schließlich Schweizer Müll!“

 

 

Und wie war es mit dem gemeldeten Regen um 14 Uhr? Pustekuchen. An dem Tag blieb es trocken, mal wieder von der Vorhersage verarscht. Da hätten wir auch die Graue Wand machen können. Da schießen die Schweizer schon zwei solcher Wetterballons pro Tag (!) in die Pampa, die dann irgendwo als Müll runterkommen, und trotzdem taugt die Wettervorhersage nichts. So viel Aufwand für so wenig Ertrag…

 

Wir verbuchten das unter Erholungstag, nahmen noch eine gemütliche Nacht in der Hütte mit (wir waren nur sechs Gäste und hatten alleine ein Zimmer, was in Corona-Zeiten sehr angenehm ist) und anderntags ging es morgens zurück.

 

Ich bin gespannt, wohin es uns bei der nächsten Granitausfahrt verschlägt, im Zweifel halt wieder in den Granit der Zentralschweiz, irgendeinen Dreams of Switzerland klettern…

 

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© Thomas Schaub