Edi und ich kamen irgendwie auf die Idee, dass wir mal das kombinierte Klettern üben wollen. Laut Eiskletterführer bot sich dafür die Klassische Führe der Rubihorn Nordwand an (M4, 45°, 400 m, „ideale Übungstour für größere Winterunternehmungen“). Vor den Toren Oberstdorfs gut erreichbar gelegen und mit vier alten geschlagenen Rostgurken in der ganzen Route auch nicht mit dem Ruf der Plaisirkletterei gesegnet. Also Mitte Februar in diesem sehr mäßigen (bzgl. Schneelage) Winter zusammen mit Sebastian, der den Tag über Skifahren ging, bei ordentlich Plusgraden samstagabends los und hoch zum Biwakplatz hinter der Gaisalpe.
Morgens um halb sechs los, über das zugeschneite Schotterfeld hoch, um beim ersten Tageslicht am Einstieg zu sein. Die erste SL aufgrund mangelnder Schwierigkeit seilfrei gegangen, um in der Zweiten dann an den ersten senkrechten Felsaufschwung zu kommen. „Fels“ ist in der Rubihorn Nordwand allerdings relativ: Die Wand ist eigentlich ein im Winter normalerweise zusammengefrorener Schutthaufen mit Eis und reichlich Graseinlagen, die bei Frost auch gut mit den Eisgeräten kletterbar sein sollten. Also das Feinste, was den Ruf des Allgäus ausmacht. Leider hatte es sogar morgens in dieser schattigen Wand schon Plusgrade, so dass es mit dem zusammengefroren nicht weit her war und die Bedingungen dadurch wenig optimal waren. Also erstmal einen Stand an zwei Eispickeln gebastelt und los ging es für mich in die erste M4-SL. Die zur Absicherung nötigen Felshaken lagen natürlich tief unten im Rucksack, so dass ich diese 50 m ohne Sicherung ausgehen durfte, wonach ich dann richtig wach war. Das Seil war dann aus und ich stand mitten in einem 45° Schneefeld. Was nun? Ich grub kurzerhand eine Kuhle, versenkte meine beiden Eisgeräte hinter mir im Schnee und hängte mich in diese, was zum Nachsichern ausreichen sollte. Tja, ich hätte auch bedenken sollen, dass durch die Wechselführung dieser Stand dann auch einen Vorstiegssturz vom Edi halten muss.
Edi kam nach, stieg ein paar Meter durch den Schnee, es kam der nächste Felsteil und er stieg in den senkrechten Schotter vor. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass man beim kombinierten Klettern im Vorstieg eigentlich nicht stürzen darf, da mit Steigeisen an den Füßen und zwei Waffen in der Hand die Verletzungsgefahr enorm ist. Dies hat allerdings niemand dem Fels gesagt, der Edi nach ca. zehn sicherungsfreien Metern ausgebrochen ist.
Er fiel imposant 5 Meter aus der Wand in das Schneefeld und rutschte dem Abgrund entgegen. Da der Stand wenig gut war warf ich mich kurzerhand bäuchlings auf die Eisgeräte, damit die beim Halten des Sturzes nicht aus dem Schnee gezogen wurden, was Edis Abfahrt zum Glück stoppen konnte. Davon lässt sich ein rechter Felsmann aber nicht beeindrucken und Edi stieg völlig unverletzt gleich wieder ein, wobei wir auch den Schlaghaken am Beginn der Wand erblickten, den wir beiden Blindfische zuvor übersehen hatten. Nächster Versuch, Grasbüschelausbruch, aber diesmal vom Haken gestoppt und wieder unverletzt. Da aller guten Dinge Drei sind hatte es danach wenigstens geklappt.
In der nächsten, leichteren SL hatte ich dann die Freude an einem langen Quergang an leidlich gefrorenen Grasplacken zum nächsten Stand in einer unbequemen Nische. Von hier aus wäre es original links raus durch ein Wändel und anschließenden Handriss gegangen, aber Edi wollte die Variante geradeaus durch eine Rinne probieren, die laut Führer bei genügend Schnee/Eis auch gängig sein sollte. Leider waren die Bedingungen dafür eher ungeeignet. Nachdem er mir aus dem Sichtfeld entschwunden war kamen irgendwann nur noch Flüche aus der Wand. Schotter und Bruch der feinen Sorte ohne Eis und Schnee („da sind fernsehergroße, wackelnde Blöcke“). Vor und zurück ging irgendwie nicht so leicht und nach einer Stunde die ich schon in der Nische stand schlossen auch zwei weitere Seilschaften auf und machten es sich neben mir in dem engen Loch bequem, das für Einen schon wenig Platz bot (wir hingen irgendwann zu fünft an einem Schlaghaken). Ein für diese Wand unerwarteter Andrang, was in einem fast schon das Gefühl aufkommen ließ, in einer überlaufenen Modetour gelandet zu sein.
Die erste Seilschaft zog dann weiter über die Originalroute, während Edi einen heiklen Rückzug zum Stand hinlegte. Ich ging dann weiter über das Wändel, wo ein feiner Handriss kam, der als Schlüsselstelle auch das Ende der Kletterschwierigkeiten im Fels bedeutete. Wäre auf Riß geklettert bestimmt super gewesen, aber mit den Hauen in der Hand und den Eisen an den Füßen war es nix damit, und im senkrechten Gemäuer die Eisen auszuziehen und die Eisgeräte zu verstauen habe ich gar nicht erst versucht. Ich konnte mich aber irgendwie recht unelegant hochschleudern und als gestrandeter Wal das nächste Schneefeld erreichen, was zur Erheiterung der nachfolgenden Seilschaft beitrug.
Dann wurde es bis zum Wandbuch leichter über ein 40° Schneefeld und wir beschlossen aufgrund der fortgeschrittenen Zeit, am langen Seil zu gehen. Die vor uns gelangten Jungspunde „sicherten“ sich trotz des leichten Geländes konsequenterweise weiter durch den Schnee und wollten nicht, dass wir überholen. Zudem bekam Edi von ihnen eine Rüge, dass er vielleicht mal eine Zwischensicherung legen sollte. Aufgrund des wenigen Schnees musste man im plattigen Fels dann vor dem Wandbuch noch mal kurz die Hände aus der Tasche nehmen, um dieses zu erreichen. Danach kamen nur noch 200 Hm in einem 40-45° steilen Firnfeld und wir verstauten das Seil im Rucksack, da ab jetzt nur noch Hochstapfen angesagt war. Tja, die Beiden gerade der Schulpflicht entwachsenen Vorausgehenden wollten auch noch diesen Wandteil am Seil hoch durchsichern (was auch immer die als Sicherungen im sulzigen Schnee eingefangen hatten) und waren partout dagegen, dass wir überholen („wenn einer von euch fällt, reißt ihr uns mit“). Selber Schuld, da es aufgrund der Wärme sehr sulzig war und wir dadurch zwei Deppen vor uns hatten, die schweißtreibend eine herrlich bequeme Treppe für uns in den Schnee traten. Hätten die uns vorgelassen, hätten wir die Arbeit gehabt, aber so konnten die beiden ihren jugendlichen Tatendrang ausleben, während wir einige Kippenlängen später gemütlich hinterherstiegen.
Am Gipfel sahen wir dann auch das erste Mal am Tag bei frühlingshaften Temperaturen die Sonne und machten uns nach kurzer Rast an den langen Abstieg. Noch ein kleiner Verhauer am Grat und dann zum Parkplatz, wo Sebastian auf uns wartete, der auch nur einen eher mäßigen Skitag im Schneematsch hinter sich hatte. War eine recht unterhaltsame Tour, die bei Frost und mehr Schnee wohl richtig genüsslich gewesen wäre. Kombiniert war die Kletterei auch denn wir hatten Fels, Schotter, gefrorenen Schotter, Gras, Schnee, sehr wenig Eis und konnten es unter „Training für die richtigen Alpen“ verbuchen.